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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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worden
     war.
    Der Tisch wurde mit Kerzen erhellt. Einer der Knechte begann plötzlich, eine türkische Trommel rhythmisch zu schlagen. Das
     Gemurmel verstummte.
    Aus dem Nebenzimmer trat Marketka hervor. Die Trommel schwieg.
    Marketka schritt langsam einher, barfuß, eingehüllt in etwas, das man erst nach einer Weile als Chorhemd, als liturgisches
     Gewand, erkennen konnte. Mit der Hilfe eines Knechtes stieg sie auf den Tisch. Einen Moment stand sie reglos da und lauschte
     dem Rhythmus der Trommel. Dann hob sie das Chorhemd. Ein Stück über die Knie. Dann höher. Sie begann leicht wiegend zu tanzen,
     drehte sich, leichtfüßig wie eine leicht geschürzte Muse. Manfred von Salm schrie begeistert und klatschte in die Hände, dann
     verstummte er wieder, als er feststellte, dass die anderen allein durch ihren Anblick hingerissen waren.
    Marketka schenkte alldem keinerlei Beachtung. Jede ihrer |223| Gesten, jede Bewegung, jeder Blick, jede Miene und das unechte Lächeln sagten nur eines: Ich bin allein. Ich bin allein, allein
     und einsam, fern von euch. Von euch und von all dem, was ihr seid. Ich bin in einer völlig anderen Welt.
    Et in Arcadia ego
, dachte Reynevan.
Et in Arcadia ego.
    Das Trommeln wurde schneller, aber das Mädchen passte sich dem Rhythmus nicht an. Im Gegenteil, es bewegte sich arhythmisch.
     Langsam, fast träge. Erregend und hypnotisierend. Der Saum des Messgewandes wanderte höher und höher, unaufhörlich, über die
     Oberschenkel, höher und höher, bis er am Ende das freigab, worauf alle gewartet hatten und auf dessen Anblick sie unwillkürlich
     mit Grimassen, Räuspern, Stöhnen, Schnaufen und lautem Schlucken reagierten.
    Ein mächtiger Schlag der Trommel, dann schwieg sie, und Marketka hob das Messgewand langsam höher. Dann zog sie es sich rasch
     über den Kopf.
    Die Sommersprossen bedeckten ihre Arme und ihre Schultern, weniger dicht auch den Hals und die Brüste. Weiter unten hatte
     sie keine mehr.
    Die Trommel ertönte wieder in schnellerem Tempo, und das Mädchen begann sich zu drehen, zu drehen und zu wiegen, wie eine
     Bacchantin, wie Salome. Jetzt sah man, dass die Sommersprossen auch ihren Rücken und ihren Hals bedeckten. Ihre Mähne wogte
     wie das Rote Meer, bevor Moses ihm gebot, sich zu teilen.
    Die Trommel wirbelte. Marketka verhielt in einer Pose, die ebenso zügellos wie unnatürlich war. Im Zuschauerraum klatschte
     Manfred erneut, auch Roháčs Hundertschaftsführer klatschte, und Amadeus Bata schlug sich mit den Händen auf die Knie. Hunzleder
     lachte auf. Berengar Tauler begann zu applaudieren.
    Aber die Vorstellung war noch nicht zu Ende.
    Das Mädchen kniete auf ihren untergeschlagenen Beinen, schob die Hände unter die Brüste, hob sie und streckte sie den Zuschauern
     entgegen. Es wiegte sich dabei wie eine Schlange. |224| Und lächelte. Aber das war kein Lächeln. Das war ein spastischer Krampf, ein
spasmus musculi faciei.
    Auf ein Signal der Trommel wechselte Marketka geschickt von ihrer knienden Pose in eine sitzende. Die Trommel begann klirrend
     und frenetisch zu schlagen, und das Mädchen begann wieder, sich wie eine Schlange zu winden. Schließlich hielt es inne, warf
     den Kopf nach hinten und spreizte seine Schenkel weit. So weit, dass den Zuschauern kein einziges Detail entging. Ja nicht
     einmal das Detail eines Details.
    Das dauerte ein wenig.
    Das Mädchen raffte das Messgewand, sprang vom Tisch herab und verschwand im Nebenraum. Applaus und Gebrüll der Zuschauer jagten
     ihr hinterher. Manfred von Salm und Roháčs Hundertschaftsführer klatschten und stampften. Berengar Tauler applaudierte stehend.
     Amadeus Bata krähte wie ein Hahn.
    »Na, wie war’s?« Fridusch Hunzleder stand auf, ging durch die Stube und setzte sich zu ihnen an den Tisch. »Wie war’s? Habt
     ihr je so eine Rothaarige gesehen? War das Schauspiel nicht einen Dukaten wert? Wenn wir schon dabei sind, Herr Scharley,
     von dir habe ich nur zwei bekommen, aber ihr seid zu dritt hier drin. Hier zählt jedes Augenpaar, wer schaut, der zahlt. Schließlich
     haben wir Revolution, da sind alle gleich, Herr und Knecht   ... Holla! Ich habe nicht zu dir gesprochen, sondern zu deinem Herrn! Du setz dich dahin, wo du gesessen hast, und schneide
     dein Stöckchen. Hast du etwa einen Dukaten? Hast du überhaupt schon mal einen Dukaten gesehen?«
    Es dauerte einige Zeit, bis Reynevan begriff, mit wem Hunzleder sprach. Es dauerte einige Zeit, um aus dem Staunen

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