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Gottesstreiter

Titel: Gottesstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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auch schon für die Přemysliden spionieren können.
    »Und wenn irgendwas nicht glatt geht, khe-khe   ...«, dozierte er, »wenn sie euch, äh, euch erwischen, dann denkt dran: Am besten, man veranstaltet an einem bevölkerten Platz
     ein Geschrei und behauptet, dass das die Juden getan hätten, dass alles durch die Juden komme, dass das alles jüdische Ränke |235| seien. Nehmt, und zwar ein jeder von euch, ein Stückchen Seife in den Mund, lasst es in der Nähe des Ortsbrunnens ordentlich
     aufschäumen, spuckt aus und schreit: Hilfe, zu Hilfe, ich sterbe, ich bin vergiftet, vergiftet, die Juden, die Juden. Dann
     fangen die Leute gleich an, die Juden zu strafen, das bedeutet, äh, khe-khe, ein wildes Durcheinander. Die Inquisition gibt
     es auf, eure Spur zu verfolgen, und stürzt sich auf die Juden, und inzwischen entkommt ihr in aller Ruhe. Dasselbe, wenn sie
     euch ergreifen und zur Folter schleppen. Dann, äh, den Dummen spielen, laut schreien, ich bin unschuldig, ein blindes Werkzeug,
     die Juden sind schuld, sie haben’s befohlen, mit Gold bestochen. Das glauben sie, das ist sicher. An so was, khekhe, glauben
     sie immer.«
    »He, Reynevan!«
    Angesprochen hatte ihn Slavik Candat, den Reynevan noch von seiner Studienzeit her kannte. Als Reynevan sein Studium begonnen
     hatte, studierte Candat schon seit mindestens acht Jahren und war älter als die meisten Doktoren, von den Magistern ganz zu
     schweigen. »Studierte« war ein Wort, das eigentlich nicht passte – Slavik Candat war zwar von Zeit und Zeit in der Universität,
     und man konnte ihn manchmal tatsächlich bei einer Vorlesung antreffen. Aber die Wahrscheinlichkeit, ihn zu treffen, war in
     einem der Freudenhäuser auf dem Perštýn oder in der Krakauer Gasse hundertmal größer. Oder im städtischen Arrest, wohin man
     ihn regelmäßig wegen Schlägereien unter Betrunkenen und nächtlicher Tumulte verbrachte. Obwohl er kein Jüngling mehr war,
     liebte Candat Krawalle und Schlägereien, es war also nicht weiter verwunderlich, dass er sich nach dem Fenstersturz enthusiastisch
     an die Revolutionsbewegung angeschlossen hatte. Reynevan hatte sich überhaupt nicht gewundert, als er ihn im Frühling 1426
     bei seinem ersten Besuch auf dem Weißen Berg bei Filou wiedergesehen hatte.
    »Grüß dich, Slavik! Was denn, bist du etwa Sekretär geworden?«
    »He! Meinst du etwa dies hier?« Candat zeigte ihm die Papierbögen |236| und die Gänsefeder, die er mit sich schleppte. »Das sind Himmelsbriefe.«
    »Woher sind die?«
    »Ich bin befördert worden«, prahlte der ewige Student und fuhr sich mit der Hand durch sein schütteres Haar. »Ich bin Schriftsteller,
     Künstler, fast ein Poet. Ich schreibe Briefe, die vom Himmel fallen. Verstehst du?«
    »Nein.«
    »Na, dann hör zu!« Candat nahm einen der Bögen und kniff seine kurzsichtigen Augen zusammen. »Ein Himmelsbrief der Gottesmutter.
     Mein gestriges Werk.«
    »Ungetreues Volk, unwürdige, umstürzlerische Generation«, las er vor, sofort in predigerhaften Überschwang fallend. »Gottes
     Zorn wird über euch kommen und schwere Not über euer Tun und über die Herden, die ihr besitzt. Weil ihr euch nicht zum wahren
     Glauben bekennt, sondern auf den römischen Antichristen hört, wende ich mein Antlitz von euch, und mein Sohn wird euch für
     all das Übel richten, das ihr Seiner Heiligen Kirche angetan habt, und er wird euch heimsuchen, wie er Sodom und Gomorrha
     heimgesucht hat. Ihr aber werdet mit den Zähnen klappern und heulen. Amen.«
    »Briefe, die vom Himmel gefallen sind, verstehst du?«, erklärte Candat, als er sah, dass Reynevan überhaupt nichts verstand.
     »Briefe von Jesus, von Maria, von Petrus. Wir in der Propagandaabteilung schreiben sie. Die Agitatoren und Emissäre lernen
     sie auswendig und begeben sich in die feindlichen Länder, um sie den Leuten dort zu verkünden. Um, wie unser Referatsleiter
     sagt, den Leuten dort die Köpfe so zu verkleistern, dass sie nicht mehr wissen, wer Freund, wer Feind und was vorne und hinten
     ist. Dazu dienen diese Himmelsbriefe, verstehst du? Ach, hier, hör mal, das ist ein Brief von Jesus. Hör mal, wie toll der
     geschrieben ist   ...«
    »Weißt du, Slavik, ich hab’s ein wenig eilig   ...«
    »Hör doch mal, hör doch mal! ›Ihr Sünder und Unwürdigen, euer Ende ist nah. Ich bin geduldig, aber wenn ihr nicht mit |237| Rom, mit dieser babylonischen Bestie, brecht, verdamme ich euch mit meinem Vater und meinen Engeln   ...

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