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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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ertrunkene Katze, und sein schräges Grinsen wirkte albern. »Hallo«, sagte er und streckte die Hand aus, dann überlegte er es sich anders und zog die Hand wieder zurück. »Triefnass und durchgefroren. Tut mir leid.«
    »Wir können uns in mein Auto setzen. Da ist es warm.«
    Brav stieg Lukas ein.
    »Also«, sagte Yngvar, als er sich auf den Fahrersitz fallen ließ und die Hände auf das Lenkrad legte, ohne den Motor zu starten. »Was war das für eine Übung?«
    Noch immer hatte Lukas dieses Grinsen, ein bagatellisierendes Teeniegrinsen, das ausdrücken sollte, dass er keine Ahnung habe. »Nichts«, er zögerte. »Ich wollte nur … Als ich klein war … Ehe wir nach Stavanger gezogen sind, habe ich das manchmal gemacht. Bin über das Dach geklettert. Um den starken Max zu spielen, vielleicht. Mutter war außer sich, als sie mich einmal dabei erwischt hat. Es war … lustig.«
    »Mmm«, Yngvar nickte. »Kann ich mir vorstellen. Und das soll nun erklären, warum Sie, kurz vor Ihrem dreißigsten Geburtstag, das noch einmal wiederholen, an einem Januartag bei Pissregen, zwei Wochen nach dem Tod Ihrer Mutter, während Ihr Vater auf den Zusammenbruch zusteuert?«
    Ein heftiger Hagelschauer setzte ein. Das Trommeln auf das Wagendach war ohrenbetäubend. Yngvar nutzte die Pause, um den Motor anzulassen und die Heizung hochzudrehen. Er hatte nicht viel von der Funktion der Handbremse verstanden, als der Mann von Avis sie ihm erklären wollte, deshalb hielt er den Fuß auf dem Bremspedal und ließ die Gangschaltung im Leerlauf.
    »Lukas, ich hab keinen Nerv … Ich hab keine Lust, Sie noch weiter wie Porzellan zu behandeln. Okay?«
    Seine Blicke bohrten sich in Lukas’ Augen. »Sie sind ein erwachsener, hochgebildeter Vater von drei Kindern. Ihre Mutter ist nicht erst seit gestern tot. Wenn ich bei der Wahrheit bleiben soll, dann habe ich es reichlich satt, dass Sie meine Fragen nicht beantworten.«
    »Aber ich habe alles beantwortet, was Sie …«
    »Klasse«, fauchte Yngvar und beugte sich zu ihm. »Über meine Geduld ist schon viel gesagt worden, Lukas. Manche finden mich zu nett. Nett an der Grenze zur Dummheit, wird ab und zu behauptet. Aber wenn Sie auch nur für eine Sekunde glauben, dass ich Sie hier weggehen lasse, ehe Sie mir erklären, was diese Nummer auf dem Dach vorhin sollte, dann irren Sie sich gewaltig.«
    Die Fenster beschlugen. Lukas blieb stumm.
    »Was wollten Sie auf dem Dach?«, beharrte Yngvar.
    »Ich wollte vom Dachboden heruntersteigen.«
    Yngvar schlug so wütend mit den Fäusten auf das Lenkrad, dass es zitterte. »Was haben Sie auf dem Dachboden gemacht und warum zum Teufel können Sie nicht wie normale Leute die Treppe hinuntergehen?«
    »Es hat nichts mit dem Tod meiner Mutter zu tun«, murmelte Lukas und riss sich von Yngvars Blick los. »Es geht um etwas anderes. Etwas … Persönliches.«
    Seine Zähne klapperten jetzt.
    »Ob es persönlich ist, entscheide ich«, fauchte Yngvar. »Und jetzt haben Sie ziemlich genau zwanzig Sekunden, um mir eine brauchbare Antwort zu geben. Wenn nicht, dann werden Sie eingebuchtet, verdammt noch mal, bis Sie endlich umgänglicher werden.«
    Lukas starrte ihn mit einer Mischung aus Unglauben und etwas an, was langsam Ähnlichkeit mit Angst bekam. »Ich wollte etwas suchen«, flüsterte er fast unhörbar.
    »Was denn?«
    »Etwas ganz … etwas, das …«
    Er schlug die Hände vors Gesicht.
    »Ein Bild«, behauptete Yngvar, eigentlich war es keine Frage. »Eine Fotografie.«
    Lukas hielt den Atem an.
    »Die, die im Schlafzimmer Ihrer Mutter gestanden hat«, sagte Yngvar. »Die, die da war, als ich am Tag nach dem Mord bei Ihnen war, die danach aber verschwunden ist.«
    Der Hagelschauer war in heftigen Regen umgeschlagen. Dicke Tropfen knallten gegen die Windschutzscheibe. Die Welt außerhalb des Autos war unklar und vage. Sie saßen dort wie in einem Kokon, und Yngvar spürte, dass sein seltener, seltsamer Zorn so schnell verflog, wie er gekommen war.
    »Woher haben Sie das gewusst?«, fragte Lukas und ließ die Hände auf die Knie sinken.
    »Ich habe es nicht gewusst. Ich habe es geraten. Haben Sie das Foto gefunden?«
    »Nein.«
    Yngvar seufzte und versuchte, sich bequemer hinzusetzen. »Wer ist auf dem Bild zu sehen?«
    »Das weiß ich nicht. Ehrlich. Das weiß ich wirklich nicht.«
    »Aber Sie haben eine Theorie«, sagte Yngvar.
    Ein Wagen kam auf sie zu, und die Scheinwerfer verwandelten die Windschutzscheibe in ein Kaleidoskop aus Gelb und

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