Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
Vom Netzwerk:
Hellgrau.
    Lukas schwieg.
    »Das war ganz ernst gemeint«, sagte Yngvar leise. »Ich werde tun, was ich kann, um Ihnen das Leben schwer zu machen, wenn Sie nicht sofort anfangen, mit mir zu reden.«
    »Ich glaube, dass ich vielleicht irgendwo eine Schwester habe. Das Bild zeigt vielleicht meine Schwester. Meine ältere Schwester.«
    Ein Kind, dachte Yngvar, wie er selbst vor vielen Tagen gedacht hatte.
    Ein verschwundenes Kind. Ein Kind, das vielleicht doch nicht verschwunden war.
    »Danke«, sagte er fast unhörbar. »Ich wünschte, Sie hätten das Bild gefunden.«
    »Aber das habe ich nun einmal nicht. Ich vermute, mein Vater hat es vernichtet. Was hätten Sie damit gemacht? Wenn ich es gefunden hätte?«
    Zum ersten Mal seit Lukas vom Dach gestiegen war lächelte Yngvar. Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und schüttelte schwach den Kopf. »Wenn wir ein Bild hätten, Lukas, könnten wir Ihre Schwester sehr schnell finden. Wenn sie noch am Leben ist und nicht allzu weit von Norwegen entfernt wohnt. Wenn es nun Ihre Schwester ist. Das wissen wir nicht. Wir wissen nicht, ob das Bild überhaupt etwas mit dem Mord an Ihrer Mutter zu tun hat. Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir uns die Zeit genommen hätten, um es zu klären.«
    »Aber was hätten Sie … Wie hätten Sie mit einem anonymen Bild …«
    »Wir haben riesige Datenbanken. Umfassende Computerprogramme. Und wenn die ganze Technologie keine Hilfe wäre, dann …«
    Der Bremsfuß war kurz vor dem Einschlafen, deshalb schaltete er in den ersten Gang und würgte den Motor ab.
    »Und wenn ich persönlich in ganz Bergen von Tür zu Tür gehen und im ganzen Land mit eigenen Händen Plakate aufhängen müsste … Ich würde sie finden. Darauf können Sie sich verlassen.«
    Lukas nickte. »Das habe ich mir gedacht«, sagte er. »Ich habe mir gedacht, dass Sie das sagen würden. Kann ich jetzt gehen? Mein Wagen steht hier gleich um die Ecke.«
    Yngvar kniff die Lider zusammen, als er Lukas’ Blick wieder einfing. »Ja. Aber vergessen Sie nicht, was ich Ihnen heute gesagt habe. Von jetzt an gibt es für Geheimnisse null Toleranz. Okay?«
    »Okay«, Lukas nickte und öffnete die Tür. »Bis dann.«
    Draußen drehte er sich um und beugte sich noch einmal ins Auto. »Danke, dass Sie mich bei meinem Vater nicht verraten haben«, sagte er.
    »Alles klar«, sagte Yngvar und winkte ab, ehe er den Motor wieder anließ, das Blinklicht betätigte und langsam auf die Straße rollte.
    Lukas lief zu seinem eigenen Auto. Die ganze Zeit presste er die Hand auf den Bauch, wo er die Umrisse eines Fotos spüren konnte, das er mit niemandem teilen wollte.
    Jedenfalls noch nicht.
    »Die Schule ist noch nicht vorbei«, sagte Kristiane wohl zum fünfzigsten Mal, als sie endlich nach Hause gekommen waren. »Die Schule ist noch nicht vorbei.«
    »Nein«, sagte Inger Johanne ruhig. »Aber ich muss etwas sehr Wichtiges mit dir besprechen, Herzchen. Deshalb habe ich dich heute früher abgeholt.«
    »Die Schule ist noch nicht vorbei«, sagte Kristiane abermals und marschierte wie eine Aufziehfigur die Treppe hoch. »Die Schule ist um vier zu Ende, und dann gehe ich zu Papa. Ich wohne heute bei Papa. Die Schule ist um vier zu Ende.«
    Inger Johanne ging hinter ihr her, sagte aber nichts mehr. Erst als sie im Wohnzimmer standen, breitete sie aufmunternd die Arme aus und erklärte: »Mama und Kristiane haben heute einen Teddytag. Nur wir beide. Möchtest du heiße Schokolade mit Sahne?«
    »Dam-di-rum-ram«, sagte Kristiane und wiegte sich auf dem Sofa langsam hin und her.
    Inger Johanne setzte sich neben ihre Tochter. Sie zog Pullover und Unterhemd aus dem Hosenbund und ließ die Finger vorsichtig über den schmalen, zierlichen Rücken tanzen. Kristiane lächelte und legte sich über ihren Schoß. So saßen sie viele Minuten da, bis Kristiane anfing zu singen.

»Wir winden einen Blumenkranz, komm mit zu uns zu Spiel und Tanz, so schön tönt die Schalmei.«
    »Schönes Lied«, flüsterte Inger Johanne.
    »Sitz nicht daheim, komm, reih dich ein, wir alle sind dabei.«
    »Ein schönes Frühlingslied«, sagte Inger Johanne. »Ein Frühlingslied im Februar. Du bist so tüchtig, Herzchen.«
    »Sing über den Frühling, dann kommt er.«
    Kristianes Lachen war spröde wie Glas. Inger Johanne fuhr mit dem Zeigefinger über ihre Wirbelsäule, den ganzen Weg vom Nacken nach unten.
    »Das kitzelt«, lachte Kristiane. »Mehr.«
    »Erinnerst du dich an die Hochzeit von Tante Marie?«
    »Ja,

Weitere Kostenlose Bücher