Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
Shakspeare, bei seinen Wilddiebereien, den Hirsch schoß. Da war auch seine Tabaksdose, welche beweist, daß er wie Sir Walter Raleigh rauchte; eben so der Degen, womit er den Hamlet spielte; und dieselbe Laterne, womit der Bruder Lorenz Romeo und Julie am Grabe fand. So war auch reicher Vorrath von Shakspeare’s Maulbeerbaum vorhanden, der eine eben so außerordentliche Kraft der Vervielfältigung zu besitzen scheint, wie das Holz vom wahren Kreuze, von dem so viel vorhanden ist, daß man ein Linienschiff daraus bauen könnte.
Der Lieblingsgegenstand der Neugierde ist indessen Shakspeare’s Stuhl. Er steht in der Kamin-Ecke eines kleinen düstern Stübchens, dicht hinter dem, welches seines Vaters Laden war. Hier mag er manches Mal gesessen haben, wenn er als Knabe den sich langsam umdrehenden Bratspieß mit all der Sehnsucht eines Buben betrachtete; oder wenn er am Abend den Gevatterinnen und Klatschschwestern in Stratford zuhörte, die Kirchhofsgeschichten und Sagen von den unruhigen Zeiten in England berichteten. Es ist Gewohnheit, daß jeder, der das Haus besucht, sich in diesen Stuhl setzt; ob man dieß vielleicht in der Hoffnung thut, dadurch etwas von der Begeisterung des Barden in sich zu saugen, weiß ich nicht, ich erwähne nur die Thatsache; und meine Wirthin versicherte mich ins geheim, der glühende Eifer der Gläubigen wäre so groß, daß der Stuhl, obgleich von festem Eichenholze gebaut, doch wenigstens alle drei Jahre einen neuen Sitz bekommen müsse. Es lohnt der Mühe, bei der Geschichte dieses außerordentlichen Stuhles auch zu bemerken, daß er etwas von der flüchtigen Natur des heiligen Hauses von Loretto oder dem fliegenden Sessel des arabischen Zauberers an sich hat; denn ob er gleich erst vor einigen Jahren an eine nordische Fürstin verkauft wurde, so hat er doch, wunderbarer Weise, seinen Weg wieder in die alte Kamin-Ecke zurück gefunden.
Ich bin bei allen solchen Dingen immer sehr leichtgläubig, und lasse mich leicht betrügen, wo der Betrug angenehm ist und nichts kostet. Deßwegen glaube ich leicht an Reliquien, Legenden und örtliche Anecdoten von Gespenstern und großen Männern, und würde Allen, die zu ihrem Vergnügen reisen, rathen, denselben Glauben anzunehmen. Was geht es uns an, ob diese Geschichten wahr oder falsch sind, so lange wir uns überreden können, daran zu glauben, und des ganzen Zaubers der Wirklichkeit genießen? Es gleicht nichts einer entschiedenen, gutmüthigen Gläubigkeit in diesen Dingen; und ich ging bei dieser Gelegenheit sogar so weit, daß ich den Ansprüchen der Wirthin auf eine gerade Abstammung von dem Dichter willigen Glauben beimaß, bis sie, unglücklicherweise für meinen Glauben, mir ein Schauspiel, das sie selbst verfertigt, übergab, welches allen Glauben an ihre angesprochene Verwandtschaft bei mir in Zweifel setzte.
Von Shakspeare’s Geburtshause brachten mich einige wenige Schritte zu seinem Grabe. Er liegt im Chore der Pfarrkirche, eines großen und ehrwürdigen Gebäudes, begraben, das vor Alter vermodert, aber reich verziert ist. Es steht an den Ufern des Avon, auf einem schattigen Punkte, und wird durch angrenzende Gärten von den Vorstädten des Ortes geschieden.
Seine Lage ist ruhig und einsam, der Fluß fließt murmelnd am Fuße des Kirchhofs dahin, und die Ulmen, welche an seinen Ufern wachsen, tauchen ihre Zweige in seinen klaren Busen. Eine Allee von Linden, deren Zweige eigenthümlich in einander verstrickt sind, so daß sie im Sommer einen Bogengang von Laubwerk bilden, führt von dem Thore des Kirchhofes bis zur Kirchthüre herauf. Die Gräber sind mit Gras überwachsen; die grauen Grabsteine, von denen einige fast ganz in die Erde gesunken waren, sind halb mit Moos bedeckt, welches gleichermaßen das ehrwürdige alte Gebäude überzogen hat. Kleine Vögel haben ihre Nester zwischen den Kranzleisten und Ritzen der Mauer gebaut und flattern und zirpen beständig umher; und Raben segeln und krächzen um seinen hohen grauen Kirchthurm.
Im Verfolge meiner Spaziergänge traf ich mit dem grauköpfigen Küster zusammen, und begleitete ihn in seine Wohnung wo er die Kirchenschlüssel holen wollte. Er hatte in Stratford als Knabe und als Mann achtzig Jahre gelebt, und schien sich noch immer für einen kräftigen Mann zu halten, mit der kleinen Ausnahme, daß er nun seit einigen wenigen Jahren beinahe des Gebrauchs seiner Beine beraubt war. Seine Wohnung war ein kleines Haus, welches die Aussicht auf den Avon und die ihn
Weitere Kostenlose Bücher