Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
Gefühle waren in dem Verlauf dieser Familiengeschichte stärker erregt worden, und da es ein schöner Abend war, erbot ich mich, ihn zu begleiten.
Er war ermüdet durch die Anstrengungen des Tages, und versank, als wir hinausgingen, in eine Art düstern Nachdenkens.
»Arme Marie!« entschlüpfte endlich, mit einem tiefen Seufzer, seinen Lippen.
»Was ist mit ihr?« fragte ich, »ist ihr etwas begegnet?«
»Wie,« sagte er, indem er mir einen ungeduldigen Blick zuwarf, »ist es Nichts für sie, in einer so ärmlichen Lage zu leben – in ein elendes Bauernhaus eingesperrt zu sein – sich genöthigt zu sehen, beinahe die geringsten Dienste in ihrer armseligen Wohnung zu verrichten?«
»Hat sie sich denn über die Veränderung betrübt?«
»Betrübt? sie war die Sanftmuth und gute Laune selbst. In der That, sie erscheint heiterer, als ich sie je gekannt habe; sie ist gegen mich ganz Liebe, Zärtlichkeit und Trost gewesen!«
»Bewundernswerthes Kind!« rief ich aus. »Ihr nennet Euch arm, mein Freund; Ihr wart nie so reich – Ihr kanntet nie die unermeßlichen Schätze der Trefflichkeit, welche Ihr an diesem Weibe besaßt.«
»O, mein Freund, wenn nur diese erste Zusammenkunft in der Hütte vorüber wäre, ich würde mich dann, glaube ich, ganz getröstet fühlen können. Allein dieß ist ihr erster Tag, wo die wirkliche Erfahrung sie trifft; sie hat eine schlechte Wohnung beziehen müssen – sie hat den ganzen Tag mit der Anordnung der elenden Ausstattung derselben zu thun gehabt – sie hat, zum ersten Male, die Beschwerden häuslicher Beschäftigungen kennen lernen – sie hat, zum ersten Male, eine Häuslichkeit um sich gesehen, der es an allem Zierlichen, beinahe an aller Bequemlichkeit, gebricht; und sie sitzt vielleicht jetzt erschöpft und muthlos nieder, über dem Anblick der künftigen Armuth brütend.«
Es war ein gewisser Grad von Wahrscheinlichkeit in diesem Gemälde, welcher ich nicht widersprechen konnte, und so schritten wir schweigend weiter.
Nachdem wir, von der Hauptstraße uns wendend, einen schmalen Pfad eingeschlagen hatten, welcher von wilden Bäumen so dicht beschattet war, daß er ihm den Charakter gänzlicher Abgeschlossenheit gab, sahen wir die Hütte vor uns liegen. Dem Aeußern nach war sie bescheiden genug für den schäferlichsten Dichter; und doch hatte sie dabei ein gefällig ländliches Ansehen. Das eine Ende hatte ein wilder Weinstock mit seinem reichen Laube umrankt; einige Bäume neigten ihre Zweige anmuthvoll darüber hin; und ich bemerkte mehrere Blumentöpfe, die mit Geschmack an der Thür und auf dem Rasenplatze vor dem Hause, aufgestellt waren. Eine kleine Gartenthüre öffnete einen Fußweg, der sich durch Gesträuche nach der Thür hinwand. In dem Augenblicke, wo wir näher traten, hörten wir den Klang von Musik – Leslie ergriff meinen Arm; wir blieben stehen und horchten. Es war Mariens Stimme, die, mit der rührendsten Einfachheit, ein kleines Lied sang, das ihr Gatte vorzüglich gern hatte.
Ich fühlte Leslie’s Hand auf meinem Arme zittern. Er trat näher, um besser zu hören. Sein Tritt verursachte ein Geräusch auf dem Kiespfad. Ein heiteres, schönes Gesicht schaute einen Augenblick aus dem Fenster und verschwand, – ein leichter Tritt ließ sich hören – und Marie hüpfte uns entgegen. Sie trug einen netten, weißen, ländlichen Anzug; einige wenige Feldblumen waren in ihr schönes Haar geflochten; frische Röthe lag auf ihren Wangen; ihr ganzes Gesicht strahlte von Heiterkeit – ich hatte sie nie so schön gesehen.
»Mein lieber Georg,« rief sie aus, »ich bin so froh, daß Du endlich kommst! Ich habe geharrt und gewartet auf Dich; ich bin den Fußweg hinuntergelaufen und habe nach dir ausgesehen. Ich habe einen Tisch unter einen schönen Baum hinter dein Häuschen gesetzt, und habe einige der köstlichsten Erdbeeren gesucht, denn ich weiß, Du liebst sie – und wir haben so herrlichen Rahm – und Alles ist so angenehm und ruhig hier – O!« sagte sie, indem sie ihren Arm in den seinigen legte, und ihm heiter ins Gesicht blickte – »O, wir werden so glücklich sein!«
Der arme Leslie war überwältigt. Er nahm sie an seine Brust, – er schlang seinen Arm um sie, – er küßte sie wieder und wieder – er konnte nicht reden, aber Thränen strömten in seine Augen; und er hat mich oft versichert, daß, ob es ihm gleich in der Welt seitdem wieder gut ergangen, und sein Leben in der That ein sehr glückliches gewesen ist, er doch nie einen
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