Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
ihn in seiner Verzweiflung zu trösten und zu beruhigen. Wenn dieß letztere der Fall sei, so bäte er, daß ihm ein Pfand gesendet werden möge, das Versprechen glücklicher Tage, das ihm in seinem Schlummer geworden, zu bestätigen. Alsbald kam eine Turteltaube von glänzendem Weiß in das Zimmer geflogen und setzte sich auf seine Hand, in ihrem Schnabel den Zweig einer rothen Nelke tragend, auf deren Blätter mit goldenen Buchstaben folgender Spruch geschrieben war:
Erwach’. erwach’! Sieh’, Liebender, ich bringe
Dir frohe Kunde, und die süßen Frieden
Dir wiedergibt; jetzt lach’, und spiel’, und singe;
Denn Heilung ist vom Himmel dir beschieden.
Er empfängt den Zweig mit einer Mischung von Furcht und Hoffnung; liest die Verse mit Entzücken; und sie, sagt er, seien das erste Zeichen seines wiederkehrenden Glücks gewesen. Ob dieß eine bloße dichterische Erfindung ist, oder ob Lady Jane ihm wirklich auf diesem romantischen Wege ein Zeichen ihrer Gunst zusandte, bleibt des Lesers Glauben oder Phantasie zur Entscheidung überlassen. Er schließt sein Gedicht damit, daß er andeutet, die Verheißung, welche ihm durch das Gesicht und die Blume geworden, sei erfüllt, indem er seine Freiheit wieder erlangt und in dem Besitz der Beherrscherin seines Herzens sein Glück gefunden habe.
Der Art ist die dichterische Erzählung, welche Jakob von seinen Liebesabenteuern im Schlosse von Windsor gibt. Wieviel davon wirklich Thatsache sei, und wie viel Verschönerung der Einbildungskraft, sucht man umsonst durch Vermuthung herauszufinden; laßt uns indessen nicht Alles, was romantisch ist, als unverträglich mit dem wirklichen Leben ansehen, sondern zuweilen einem Dichter auf sein Wort glauben. Ich habe solche Theile des Gedichts berührt, welche sich unmittelbar auf den Thurm beziehen, und einen großen Theil desselben, von allegorischer Art, die man damals so sehr liebte, übergangen. Die Sprache ist natürlich seltsam und veraltet, so daß heutiges Tages die Schönheiten mancher der goldenen Redensarten daraus kaum mehr gefühlt werden; allein es ist unmöglich, durch das wahre Gefühl, die ungekünstelte Einfachheit und die gute Sitte, welche überall darin vorherrscht, nicht entzückt zu werden. Auch die Beschreibungen von Naturgegenständen, womit das Gedicht ausgeschmückt ist, sind mit einer Wahrheit, einem richtigen Takt und einer Frische gegeben, welche der gebildetesten Zeiten der Kunst würdig sind.
Es ist sehr erbaulich zu sehen, wie es, als ein Liebesgedicht und aus einer Zeit, wo man seine Gedanken roher äußerte, doch überall Natürlichkeit, Bildung und edle Zartheit bewahrt; wie jeder unzarte Gedanke, jeder unziemliche Ausdruck vermieden ist, und die weibliche Liebenswürdigkeit mit all ihrer ritterlichen Ausstattung von beinahe übernatürlicher Reinheit und Anmuth geschmückt, dargestellt wird.
Jakob blühte ungefähr um die Zeit Chaucer’s und Gower’s [Fußnote: John Gower , der kurz vor Chaucer, zur Zeit Richard des Zweiten lebte, ist besonders durch seine
Confessio Amantis
(Bekenntniß des Liebenden), ein zur Hälfte englisches, zur Hälfte lateinisches, moralisches Liebes-Gedicht, berühmt.] , und war augenscheinlich ein Bewunderer und eifriger Leser ihrer Schriften. Er erkennt sie in der That in einer seiner Strophen als seine Lehrer an, und wir bemerken in einigen Stellen seines Gedichts, Spuren der Aehnlichkeit mit ihren Werken, am meisten mit denen Chaucer’s. Es finden sich indessen in den Werken gleichzeitiger Schriftsteller immer allgemeine, sich gleichende Züge, die sie nicht sowohl voneinander, als von der Zeit selbst entlehnen. Schriftsteller sammeln, wie die Bienen ihren Honig auf der ganzen Welt ein; sie verweben mit ihren eigenen Erfindungen die Anecdoten und Gedanken, welche in der Gesellschaft geltend sind; und so hat jedes Geschlecht einige gemeinschaftliche Züge, welche das Zeitalter bezeichnen, worin es lebte.
Jakob gehört in der That einer der glänzendsten Zeiten unserer Literaturgeschichte an, und begründet die Ansprüche seines Vaterlandes auf die Theilnahme an den ersten Verdiensten derselben. Während ein kleiner Haufe englischer Schriftsteller beständig als die Väter unserer Dichtkunst angeführt werden, wird der Name ihres großen schottischen Mitbewerbers mit Stillschweigen übergangen; aber er ist augenscheinlich der Ehre würdig, in das kleine Sternbild jener entfernten, aber nie erlöschenden Gestirne aufgenommen zu werden, welche an dem höchsten
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