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Gottspieler

Gottspieler

Titel: Gottspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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Kommen Sie, wir nehmen gleich den ersten Aufzug.«
    Cassi und Joan wurden in den Fahrstuhl gedrängt. Die Tür ging zu, der Lift setzte sich in Bewegung.
    Joan hatte sich schon seit Jahren nicht mehr so unwohl gefühlt, aber sie hatte den Drang, nachhaken zu müssen. »Wann genau hat Ihre Diabetes angefangen?«
    Die einfache Frage versetzte Cassi zurück in das Jahr, als sie acht wurde und ihr ganzes Leben sich zu ändern begann. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte ihr die Schule immer Spaß gemacht. Sie war ein folgsames, begeisterungsfähiges Kind gewesen, das immer nach neuen Horizonten Ausschau zu halten schien. Aber mitten in der dritten Klasse wurde alles anders. Früher war sie immer pünktlich für den Schulweg fertig gewesen; nun mußte sie angetrieben und gebeten werden. Ihre Konzentration ließ nach, und Cassis Mutter erhielt besorgte Briefe von ihrer Klassenlehrerin. Immer öfter mußte sie auf die Toilette, was anfangs nicht einmal ihr selbst klar wurde. Nach einiger Zeit verbot die Lehrerin, Miss Rossi, ihr das häufige Austreten, weil sie vermutete, daß die Gänge zur Toilette nur ein Vorwand waren, um nicht arbeiten zu müssen. Damals wurde Cassi von der grauenhaften Angst heimgesucht, sie könnte die Kontrolle über ihre Blase verlieren. Vor ihrem geistigen Auge entstand das Bild eines »Unfalls« – Urin, der von ihrem Stuhl tropfte und sich unter dem Pult zu einer gelblichen Pfütze sammelte. Aus der Angst wurde Wut, die Wut wiederum führte zu Aufsässigkeit, die mit Strafen geahndet wurde. Die anderen Kinder begannen, sich über Cassi lustig zu machen.
    Als sie zu Hause einmal ihr Bett naß machte, waren sowohlsie selbst als auch ihre Mutter entsetzt. Mrs. Cassidy verlangte eine Erklärung, aber Cassi hatte keine. Als Mr. Cassidy vorschlug, den Hausarzt zu Rate zu ziehen, lehnte Mrs. Cassidy diese Demütigung rundweg ab – überzeugt wie sie war, daß es sich bei der Bettnässerei um etwas durch und durch Unanständiges handelte.
    Die verschiedensten Strafen blieben erfolglos. Wenn überhaupt, dann verschlimmerten sie das Problem noch. Cassi begann, plötzlich Wutanfälle zu bekommen, verlor die wenigen noch verbliebenen Freundinnen und hielt sich die meiste Zeit in ihrem Zimmer auf.
    Anfang Frühling kulminierten die Ereignisse. Cassi konnte sich noch lebhaft an den Tag erinnern. Nur eine halbe Stunde nach der Pause verspürte sie gleichzeitig das dringende Bedürfnis, ihre Blase zu entleeren, und heftigen Durst. Da sie sich vorstellen konnte, wie Miss Rossi reagieren würde, wenn sie so kurz nach der Pause schon wieder zur Toilette wollte, versuchte sie vergebens, bis zum Ende der Stunde durchzuhalten. Sie rutschte auf ihrem Stuhl hin und her und ballte die Hände zu Fäusten. Ihr Mund wurde so trocken, daß sie kaum zu schlucken vermochte, und all ihren Bemühungen zum Trotz spürte sie, wie sie einige Tropfen Urin verlor.
    Entsetzt schlich sie auf Zehenspitzen zu Miss Rossi und bat, austreten zu dürfen. Ohne aufzublicken, schickte Miss Rossi sie an ihren Platz zurück. Cassi drehte sich um und ging direkt zur Tür. Miss Rossi hörte, wie die Klinke hinuntergedrückt wurde, und hob den Kopf.
    Cassi rannte zur Toilette, dicht gefolgt von Miss Rossi. Ehe die Lehrerin sie einholen konnte, hatte sie ihr Höschen heruntergezerrt und den Rock in ihren Armen zusammengerafft. Voller Erleichterung sank sie auf die Toilettenbrille. Miss Rossi baute sich vor ihr auf, stemmte die Fäuste in die Taille und wartete, während ihre Miene verkündete: Gnade dir Gott, wenn ich jetzt nicht was zu sehen kriege …
    Sie bekam etwas zu sehen. Cassi begann zu urinieren und hörte eine Ewigkeit lang nicht wieder auf. Miss Rossis finstere Miene erhellte sich ein wenig. »Warum bist du denn nicht in der Pause gegangen?« fragte sie.
    »Bin ich doch«, antwortete Cassi kläglich.
    »Das glaube ich nicht«, sagte Miss Rossi. »Und weil ich dir nicht glaube, werden wir beide heute nachmittag nach der Schule in Mr. Jankowskis Büro marschieren.«
    Wieder im Klassenzimmer, setzte Miss Rossi Cassi in eine Bank für sich allein. Noch heute konnte sie die Benommenheit spüren, die plötzlich über sie gekommen war. Es begann damit, daß sie die Tafel nicht mehr erkennen konnte. Dann wurde ihr ganz komisch zumute, und sie glaubte, sich übergeben zu müssen. Aber statt sich zu übergeben, wurde sie ohnmächtig. Das nächste, was Cassi wußte, war, daß sie sich in einem Krankenhaus befand. Ihre Mutter beugte sich über sie und

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