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Gottspieler

Gottspieler

Titel: Gottspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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mit seiner Mutter zu unterhalten, konnte Patricia aber lediglich ein »Ja« oder »Nein« entlocken. Mrs. Kingsley tat fast so, als sei sie froh darüber, ihren Sohn aus dem Speisezimmer verscheucht zu haben.
    »War das damals schlimm mit dem Klumpfuß von Thomas?« fragte Cassi in der Hoffnung, Mrs. Kingsley aus ihrer Einsilbigkeit herauslocken zu können.
    »Schrecklich. Genau wie bei seinem Vater, der sein Leben lang verkrüppelt geblieben ist.«
    »Ich hatte ja keine Ahnung. Man sieht überhaupt nichts mehr davon.«
    »Natürlich nicht. Im Gegensatz zu seinem Vater ist er ja auch behandelt worden.«
    »Gott sei Dank«, sagte Cassi voller Inbrunst. Sie versuchte sich Thomas hinkend vorzustellen. Der Gedanke, daß er als Baby verkrüppelt gewesen war, schien für sich allein schon unerträglich.
    »Nachts mußten wir dem Jungen Fußklammern anlegen«, sagte Patricia, »und das war nicht gerade ein Kinderspiel, denn er schrie wie am Spieß und hörte nicht wieder auf, als ob wir ihn folterten.« Sie tupfte sich die Lippen mit der Serviette ab.
    Cassi sah den kleinen Thomas vor sich, die Füße in einengenden Stützklammern. Zweifellos war es in gewisser Weise eine Folter gewesen.
    Patricia erhob sich abrupt vom Tisch. »Nun, warum gehen Sie nicht hinauf und sehen nach ihm? Offensichtlich braucht er jemanden. Trotz seines aggressiven Benehmens ist er nicht so stark, wie er denkt. Ich würde ja gehen, aber zweifellos zieht er Sie vor. Die Männer sind alle gleich. Man gibt ihnen alles, und dafür lassen sie einen im Stich. Gute Nacht, Cassandra.«
    Verblüfft von Patricia Kingsleys plötzlichem Abgang, blieb Cassi noch einen Moment am Tisch sitzen. Sie hörte die alte Frau ein paar Worte mit Harriet wechseln, dann fiel die Haustür ins Schloß. Das Haus war still, mit Ausnahme des Quietschens der Schaukel auf der Veranda, die im Wind hin und her schwang.
    Cassi stand auf und stieg die Treppe hinauf. Der Gedanke, daß Thomas und sie beide ernste Kinderkrankheiten gehabt hatten und diese gemeinsame Erfahrung ein weiteres Band zwischen ihnen darstellte, ließ ein Lächeln auf ihre Züge treten. Sie klopfte an die Tür des Arbeitszimmers und fragte sich, in welcher Stimmung er wohl sein mochte, wobei sie mit dem Schlimmsten rechnete. Aber als sie eintrat, wurde ihr sofort leichter zumute. Thomas saß in seinem Lieblingssessel, ein Bein über die Seitenlehne gehängt, eine medizinische Zeitschrift in der einen Hand und ein Glas Whisky in der anderen. Er wirkte gelöst und ausgeglichen; vor allem aber lächelte er.
    »Ich hoffe, du und Mutter seid nett zueinander gewesen«, sagte er und zog eine Augenbraue hoch, als könnte das Gegenteil eingetreten sein. »Es tut mir leid, daß ich mich so abrupt zurückgezogen habe, aber die alte Frau war auf dem besten Weg, mich rasend zu machen. Und mir stand der Sinn gerade nicht nach einer Szene.«
    »Du bist so berechenbar unberechenbar«, sagte Cassi lächelnd. »Deine Mutter und ich haben uns ausgezeichnet unterhalten. Thomas, ich habe gar nicht gewußt, daß du einen Klumpfuß hattest. Warum hast du mir nie davon erzählt?«
    Sie setzte sich auf die Armstütze seines Sessels, so daß er wieder eine normale Position einnehmen mußte. Er antwortete nicht, konzentrierte sich ganz auf seinen Drink.
    »Wie du weißt, bin ich ja eine Expertin, was Kinderkrankheiten angeht«, sagte Cassi. »Ich finde es beruhigend, daß wir gemeinsame Erfahrungen gemacht haben. Ich finde, man hat dann mehr Verständnis füreinander.«
    »Ich kann mich an keinen Klumpfuß erinnern«, sagte Thomas. »Soweit ich weiß, hatte ich auch nie einen. Die ganze Sache ist ein Hirngespinst von Mutter. Sie will dich nur damit beeindrucken, wie schwer es für sie war, mich großzuziehen. Sieh dir meine Füße an: entdeckst du auch nur die kleinste Deformation?«
    Thomas zog seine Schuhe aus und hob die Füße.
    Cassi mußte zugeben, daß alle beide absolut normal aussahen. Sie wußte, daß Thomas keinerlei Schwierigkeiten beim Gehen hatte und im College ein bewunderter Athlet gewesenwar. Trotzdem war sie nicht sicher, wer von beiden die Wahrheit gesprochen hatte.
    »Ist es nicht unwahrscheinlich, daß deine Mutter sich so was aus den Fingern saugen sollte?« Obwohl sie den Gedanken als Frage formuliert hatte, nahm Thomas ihn als Behauptung.
    Er feuerte die Zeitschrift in die Ecke und sprang auf, wobei er Cassi beinahe zu Boden gestoßen hätte. »Hör zu, es ist mir völlig schnuppe, wem du glaubst und wem nicht«,

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