Gottspieler
wohl einen Moment hereinkommen?« fragte Cassi.
»Warum nicht?« sagte Patricia und schickte sich an, die Treppe wieder hinaufzusteigen. »Seien Sie so nett und schließen Sie die Tür.«
Cassi war froh, den kalten, feuchten Morgen aussperren zu können. Dann folgte sie Patricia die Treppe hinauf und standplötzlich in einer kleinen, verschwenderisch mit rotem Samt und weißen Spitzen eingerichteten Wohnung.
»Sie haben es ja herrlich hier«, sagte sie.
»Danke«, erwiderte Patricia. »Rot ist die Lieblingsfarbe meines Sohns.«
»Ach?« entfuhr es Cassi, die immer überzeugt gewesen war, Thomas hätte eine Vorliebe für Blau.
»Ich verbringe viel Zeit hier«, sagte Patricia. »Ich wollte es mir so gemütlich wie möglich machen.«
»Das ist Ihnen auch gelungen«, bestätigte Cassi. In einer Ecke bemerkte sie einen Teddybär, ein Schaukelpferd, ein Kinderauto und anderes Spielzeug.
Patricia folgte ihrem Blick und erklärte: »Damit hat Thomas als Kind immer gespielt. Ich finde es sehr dekorativ, Sie nicht?«
»Doch, durchaus«, sagte Cassi. Sie fand, daß dem Spielzeug zwar ein gewisser Charme zu eigen war, daß es in dieser luxuriösen Umgebung jedoch etwas fehl am Platze wirkte.
»Wie wär’s mit einer Tasse Tee?« schlug Patricia vor.
Cassi erkannte, daß Patricia genauso verlegen zu sein schien wie sie selbst. »Gern«, sagte sie und fühlte sich schon etwas wohler in ihrer Haut.
Im Gegensatz zum Wohnzimmer war die Küche kärglich eingerichtet: weiße Metallschränke, ein alter Kühlschrank und ein kleiner Gasherd. Patricia setzte einen Teekessel auf und holte ein Porzellanservice hervor, das sie auf ein Holztablett stellte.
»Milch oder Zitrone?« erkundigte sie sich.
»Milch.«
Während Cassi ihre Schwiegermutter dabei beobachtete, wie sie nach einem Milchkännchen suchte, wurde ihr klar, wie wenig Besuch die alte Dame bekam. Mit einem Anflug von Schuldgefühl fragte sie sich, warum es ihnen nicht gelungen war, Freunde zu werden. Sie versuchte, die Rede auf ihr Problem zu bringen, aber die Kluft, die seit jeher zwischen ihnenbestanden hatte, ließ sie verstummen. Erst als sie sich wieder im Wohnzimmer befanden und hinter vollen Teetassen saßen, vermochte sie sich ein Herz zu nehmen.
»Ich bin hier, weil ich mit Ihnen über Thomas sprechen wollte«, begann sie.
»Das haben Sie bereits gesagt«, antwortete Patricia freundlich. Die alte Dame strahlte jetzt echte Wärme aus. Der Besuch schien ihr Spaß zu bereiten.
Cassi seufzte und setzte ihre Teetasse auf dem Couchtisch ab. »Ich mache mir Sorgen um ihn. Ich habe das Gefühl, er verlangt zuviel von sich und …«
»Das hat er schon als Kleinkind getan«, unterbrach Patricia. »Vom Tag seiner Geburt an stand er unter Dampf. Und ich sage Ihnen, man brauchte vierundzwanzig Stunden am Tag, um ihn unter Aufsicht zu halten. Schon bevor er laufen konnte, war er sein eigener Boß und tat, was er wollte. Eigentlich sogar schon vom Tag meiner Rückkehr aus der Klinik an …«
Während sie Patricias Geschichten zuhörte, begriff Cassi, wie sehr Thomas für seine Mutter immer noch im Mittelpunkt ihrer Welt stand. Jetzt verstand sie endlich auch, warum Patricia darauf beharrte, hier in seiner Nähe zu leben, selbst wenn sie anderswo mehr Gesellschaft haben konnte. Als sie einmal innehielt, um einen Schluck von ihrem Tee zu nehmen, fiel Cassi wieder auf, wie ähnlich Thomas seiner Mutter sah. Ihr Gesicht war schmaler und zierlicher, wies aber die gleiche aristokratische Linienführung auf.
Als Patricia die Tasse wieder absetzte, lächelte Cassi und sagte: »Klingt, als hätte Thomas sich nicht sehr verändert seit damals.«
»Ich glaube nicht, daß er sich überhaupt geändert hat«, sagte Patricia, ehe sie mit einem kleinen Lachen hinzufügte: »Er ist sein Leben lang derselbe kleine Junge geblieben. Er hat schon immer viel Aufmerksamkeit gebraucht.«
»Ich hatte gehofft, daß Sie ihm vielleicht jetzt auch helfen können«, sagte Cassi.
»Ach?« fragte Patricia.
Cassi konnte geradezu mit ansehen, wie die neu gewonnene Intimität wieder dem alten Argwohn wich. Aber sie ließ sich nicht einschüchtern. »Thomas hört auf Sie und …«
»Natürlich hört er auf mich. Ich bin seine Mutter. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus, Cassandra?«
»Ich habe Anlaß zu der Vermutung, daß Thomas Drogen nimmt«, antwortete Cassi. Es war eine Erleichterung, endlich darüber reden zu können. »Tatsächlich habe ich diesen Verdacht schon seit einiger Zeit, war
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