Gottspieler
sprechen, gegenüberzustellen.
»Und ich weiß auch, warum Sie mir aus dem Weg gegangensind«, fuhr Bentworth fort. »Ich glaube, Sie haben Angst vor mir. Es tut mir leid, daß dem so ist. Ich bin lange in der Armee gewesen und daran gewöhnt, Befehle zu geben, deswegen wirke ich manchmal wahrscheinlich etwas anmaßend.«
Zum erstenmal in Cassis kurzer psychiatrischer Karriere geschah es, daß sich etwas, wovon sie in der Fachliteratur gelesen hatte, zwischen ihr und einem ihrer Patienten abspielte. Sie wußte, ohne auch nur eine Sekunde daran zu zweifeln, daß Bentworth sie zu manipulieren versuchte.
»Mr. Bentworth …«, begann sie.
»Colonel Bentworth«, korrigierte der Offizier mit einem Lächeln. »Wenn ich Sie Doktor nenne, ist es nur vernünftig, daß Sie mich Colonel nennen. Als Zeichen gegenseitigen Respekts.«
»Einverstanden«, sagte Cassi. »Tatsächlich ist es aber so gewesen, daß bisher immer Sie sich geweigert haben, einer Sitzung mit mir zuzustimmen. Wenn Sie sich erinnern, habe ich mehrmals versucht, einen Termin mit Ihnen auszumachen, aber Sie haben stets behauptet, schon eine andere Verabredung zu haben. Da ich den Eindruck hatte, daß Sie mehr von Gruppentherapie als von einer privaten Sitzung halten, habe ich keinen stärkeren Druck ausgeübt. Wenn Sie zu einer Sitzung bereit sind, dann lassen Sie uns einen Termin machen.«
»Ich würde mich liebend gern mit Ihnen unterhalten«, sagte Bentworth. »Wie wär’s denn gleich jetzt? Ich habe Zeit. Und Sie?«
Cassi beabsichtigte nicht, den Manipulationen des Colonels so schnell zum Opfer zu fallen, denn es würde sich letzten Endes nicht positiv auf ihr Verhältnis auswirken. Sie war im Augenblick ganz und gar nicht vorbereitet, und trotz seines neuerlichen Charmes jagte Bentworth ihr Angst ein.
»Wie würde es Ihnen morgen früh passen?« fragte sie. »Gleich nach der Belegschaftskonferenz?«
Colonel Bentworth stand auf und drückte seine Zigarette indem Aschenbecher auf Cassis Schreibtisch aus. »In Ordnung. Ich freue mich schon darauf. Und ich hoffe, das, was Ihnen Sorgen bereitet, wendet sich noch zum Guten für Sie.«
Nachdem er gegangen war, sog Cassi die verräucherte Luft ein und stellte sich den Colonel in einer Ausgehuniform vor. Zweifellos wäre er galant und feurig, und der Gedanke, daß ein solcher Mann psychische Probleme haben könnte, würde geradezu absurd erscheinen. Da sie über die Schwere seines Leidens informiert war, fand sie es verwirrend, daß es sich so leicht verbergen ließ.
Bevor sie auch nur dazu kam, sich Notizen zu machen, wurde ihre Tür erneut geöffnet. Maureen Kavenaugh trat ein und setzte sich. Sie war vor etwa einem Monat mit schweren, periodisch auftretenden Depressionen eingewiesen worden. Als ihr Mann sie anläßlich eines Besuchs mehrfach geohrfeigt hatte, war sie wieder in tiefe Niedergeschlagenheit verfallen. Sie außerhalb ihres Zimmers zu sehen, war ungefähr so überraschend wie der freiwillige Besuch von Colonel Bentworth. Cassi fragte sich, ob den Patienten heute irgendeine Wunderdroge ins Essen gemischt worden war.
»Ich habe den Colonel in Ihr Büro gehen sehen«, sagte Maureen. »Ich dachte, Sie hätten gesagt, daß Sie heute nachmittag nicht da wären.« Ihre Stimme klang flach und teilnahmslos.
»Ich hatte es auch nicht vorgehabt«, sagte Cassi.
»Nun, wo ich schon mal hier bin, kann ich einen Moment mit Ihnen reden?« fragte Maureen schüchtern.
»Natürlich«, sagte Cassi.
»Gestern, als wir uns unterhalten haben …« Maureen hielt inne, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Cassi schob der Frau einen Karton mit Papiertaschentüchern zu.
»Sie … Sie haben mich gefragt, ob ich gern meine Schwester sehen würde.«
Maureen sprach so leise, daß sie kaum zu verstehen war.
Cassi nickte rasch, wobei sie sich fragte, was in der jungen Frau wohl vorgehen mochte. Seit ihrem Rückfall hatte sie an nichts besonderes Interesse gezeigt, obwohl Cassi sie mit Elavil behandelte. Bei der Belegschaftskonferenz war verschiedentlich der Vorschlag gemacht worden, es mit Elektroschocks zu versuchen, aber Cassi hatte sich dagegen ausgesprochen, weil sie glaubte, daß Elavil und begleitende therapeutische Sitzungen ausreichten. Was Cassi erstaunte, war Maureens Fähigkeit zu begreifen, was mit ihr vorging. Allerdings gaben ihr die Einblicke in das Kräftespiel ihrer Krankheit nicht automatisch auch die Macht, sie zu beeinflussen.
Maureen war sich ihrer feindseligen Einstellung gegenüber
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