Gottspieler
Sie über meine intimsten Geheimnisse Bescheid«, sagte Cassi nur halb im Scherz.
»Ehrenwort, daß ich nicht in Sie dringen werde«, sagte Joan.
»Trotzdem, ich kann nicht. Ich weiß Ihr Angebot wirklich zu schätzen, aber immerhin besteht ja die Möglichkeit, daß Thomas nicht zu operieren braucht und vielleicht nach Hause kommt. Unter den gegebenen Umständen möchte ich dann gern da sein. Vielleicht können wir uns aussprechen.«
Joan lächelte teilnahmsvoll. »Sie haben’s nicht leicht. Nun, falls Sie es sich noch anders überlegen, rufen Sie mich an. Ich verlasse die Klinik frühestens in einer Stunde.« Diesmal ging sie wirklich.
Cassi starrte auf den Monet und überlegte, ob es sinnvoll war, in ihrem Zustand zu fahren. Allerdings konnte sie jetzt schon bedeutend besser sehen; die Wirkung der Tropfen ließ dank der Tränen endlich nach.
Thomas spürte das Zittern seiner Hände, als er die Tür zu seiner Praxis öffnete und das Licht anknipste. Der Uhr auf dem Schreibtisch seiner Sprechstundenhilfe zufolge war es halb sieben. Die Dunkelheit vor dem Fenster trug keinerlei Erinnerung mehr an die Sommernächte, in denen es oft bis halb zehn hell blieb. Er schloß die Tür und streckte den Arm aus. Es erschreckte ihn zu sehen, wie seine sonst so sichere Hand vibrierte. Wie konnte Cassi nur ständig weiter Druck auf ihn ausüben, wo er doch ohnehin schon so angespannt war?
Er trat an seinen Schreibtisch, öffnete die zweite Schublade von oben und holte eins seiner kleinen Plastikdöschen heraus. Der kindersichere Verschluß und seine eigene Erregung machten es fast unmöglich, das Döschen zu öffnen. Nur mit Mühe konnte er sich davon abhalten, es auf den Boden zu schmeißen und mit dem Absatz daraufzutreten. Endlich gelang es ihm, eine der gelben Pillen herauszubekommen. Trotz des bitteren Geschmacks schob er sie sich auf die Zunge und ging in den kleinen Waschraum, der immer noch nach Doris’ Parfüm roch.
Er verzichtete auf ein Glas und beugte sich vor, um direkt aus dem Hahn zu trinken. Anschließend ging er zurück ins Sprechzimmer und nahm am Schreibtisch Platz. Seine Angst schien zuzunehmen. Wieder riß er die Schublade auf und kramte das Döschen hervor. Diesmal gelang es ihm nicht, den Verschluß zu öffnen. Wütend schmetterte er es auf den Schreibtisch, was lediglich zu einem schmerzenden Daumen und einer Kerbe in der Tischplatte führte.
Er schloß die Augen und mahnte sich, nicht die Beherrschung zu verlieren. Als er die Augen wieder öffnete, erinnerte er sich, daß man die beiden Pfeile in eine Reihe bringen mußte, wenn man das Döschen öffnen wollte.
Aber er verzichtete dann doch auf die zweite Pille. Statt dessen beschwor sein Geist das Bild von Laura Campbell herauf. Es gab keinen Grund, aus dem er allein bleiben mußte. Ich wünschte, ich könnte irgend etwas für Sie tun, hatte sie gesagt. Was immer Sie wollen. Er wußte, daß er ihre Telefonnummer bei den Unterlagen über ihren Vater hatte, um sie im Notfall schnell erreichen zu können. Und handelte es sich jetzt etwa nicht um einen Notfall? Thomas lächelte. Darüber hinaus gab es eine Menge Möglichkeiten, seine Absichten zu verbergen, falls er ihr Angebot mißdeutet haben sollte.
Er fand Mr. Campbells Mappe und wählte rasch Lauras Nummer, wobei er hoffte, daß die junge Frau zu Hause war. Bereits beim zweiten Klingeln hob sie ab.
»Hier spricht Dr. Kingsley. Es tut mir leid, wenn ich Sie störe.«
»Ist irgend etwas mit Vater?« fragte sie besorgt.
»Nein, nein«, beruhigte Thomas sie sofort. »Ihrem Vater geht es gut. Es tut mir sehr leid, daß er Gelbsucht bekommen hat – eine dieser unglückseligen Komplikationen. Ich wünschte, wir hätten sie vorhersehen können, aber in ein paar Tagen sollte eigentlich alles wieder im Lot sein. Wie auch immer, der Anlaß, aus dem ich anrufe, ist die in absehbarer Zeit bevorstehende Entlassung Ihres Vaters. Ich dachte, vielleicht möchten Sie, daß wir vorher noch einmal über den Fall sprechen.«
»Unbedingt«, meinte Laura. »Sie brauchen mir bloß zu sagen, wann es Ihnen paßt.«
Thomas drehte die Telefonschnur in der freien Hand hin und her. »Tja, das ist der Grund, aus dem ich gerade jetzt anrufe. Sie können sich vermutlich vorstellen, wie mein Zeitplan aussieht. Aber zufälligerweise warte ich auf eine Operation und bin allein in meiner Praxis. Ich dachte, vielleicht hätten Sie Lust vorbeizukommen.«
»Können Sie mir noch dreißig Minuten geben?« fragte
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