Gottspieler
ihrer Mutter, die sie und ihre jüngere Schwester sitzengelassen hatte, als sie noch Kleinkinder gewesen waren, durchaus bewußt, ebenso der Eifersucht auf ihre jüngere, hübschere Schwester, die gleichfalls weggelaufen war und geheiratet hatte. Allein auf sich gestellt, hatte Maureen sich aus schierer Verzweiflung in die Ehe mit einem völlig indiskutablen Mann geflüchtet.
»Glauben Sie, meine Schwester würde mich besuchen kommen?« fragte sie schließlich mit tränennassem Gesicht.
»Vorstellen könnte ich es mir«, sagte Cassi. »Aber Gewißheit haben wir erst, wenn Sie sie gefragt haben.«
Maureen putzte sich die Nase. Ihr Haar war strähnig und mußte dringend gewaschen werden. Allen Medikamenten zum Trotz verlor sie weiter an Gewicht. Ihr Gesicht war eingefallen.
»Ich habe Angst, sie zu fragen«, gestand Maureen. »Ich glaube nicht, daß sie kommen würde. Warum sollte sie? Ich bin es doch gar nicht wert. Es ist alles so sinnlos.«
»Allein die Tatsache, daß Sie an Ihre Schwester denken, ist schon ein gutes Zeichen«, sagte Cassi sanft.
Maureen seufzte tief. »Ich kann mich nicht entscheiden. Wenn ich sie anrufe und frage, und sie sagt nein, dann wird alles noch schlimmer. Ich möchte gern, daß jemand anderer das Gespräch für mich führt. Würden Sie mir diesen Gefallen tun?«
Cassi schreckte auf. Sie dachte an ihre eigene Entschlußlosigkeit Thomas gegenüber. Maureens Abhängigkeit und Hilflosigkeit erschienen ihr nur zu vertraut. Auch sie wollte, daß jemand anders ihr sämtliche Entscheidungen abnahm. Cassi versuchte, sich wieder zu konzentrieren.
»Ich weiß nicht, ob gerade ich die Richtige bin, um Ihre Schwester anzurufen«, sagte sie. »Aber wir können darüber reden. Ansonsten halte ich es für eine gute Idee, wenn Sie Ihre Schwester treffen. Warum unterhalten wir uns nicht morgen noch einmal in Ruhe darüber? Ich glaube, Sie haben um zwei sowieso einen Termin.«
Maureen nickte und nahm sich noch eine Handvoll Papiertaschentücher, ehe sie ging, wobei sie die Tür offenließ.
Cassi saß eine Zeitlang einfach nur da und starrte ins Leere. Sie hatte das sichere Gefühl, daß in dieser Identifikation mit einer ihrer Patientinnen ein Zeichen ihrer Unerfahrenheit zu sehen war.
»Hallo, wieso waren Sie nicht bei der Konferenz?« Joan Widiker steckte ihren Kopf zur Tür herein.
Cassi blickte auf, antwortete aber nicht.
»Was ist los?« erkundigte sich Joan. »Sie sehen etwas mitgenommen aus.« Sie trat in Cassis Büro und schnüffelte. »Außerdem wußte ich gar nicht, daß Sie rauchen.«
»Tue ich auch nicht«, sagte Cassi. »Das war Colonel Bentworth.«
»Er hat Sie von sich aus aufgesucht?« Joans Augenbrauen fuhren in die Höhe. »Sie machen sich ja besser, als Sie denken.« Sie nahm Cassi gegenüber Platz. »Ich dachte, es interessiert Sie vielleicht, daß Jerry Donovan und ich kürzlich miteinander ausgegangen sind. Haben Sie schon mit ihm gesprochen?«
Cassi schüttelte den Kopf.
»Es war kein besonders gelungener Abend. Alles, was er wollte …« Joan unterbrach sich mitten im Satz. »Cassi, was ist los mit Ihnen?«
Tränen rannen Cassi über die Wangen. Genau wie sie befürchtet hatte, hielt ihre Selbstkontrolle freundlicher Zuwendung nicht stand. Schließlich gab sie es auf, barg das Gesicht in den Händen und weinte ganz offen.
»So schlimm war Jerry Donovan auch wieder nicht«, sagte Joan in der Hoffnung, Cassi vielleicht ein wenig aufheitern zu können. »Davon abgesehen, habe ich seinem Drängen ja gar nicht nachgegeben. Ich bin immer noch Jungfrau.«
Cassis Körper wurde von Schluchzen geschüttelt. Joan trat um den Tisch herum und legte ihrer Freundin einen Arm um die Schulter. Einige Sekunden lang sagte sie kein Wort. Als Psychiater reagierte sie nicht so negativ wie die meisten Laien auf Tränen. Nach der Heftigkeit von Cassis Ausbruch zu schließen, war dieser dringend notwendig gewesen.
»Es tut mir leid«, sagte Cassi und griff nach einem Papiertaschentuch, genau wie zuvor Maureen. »Das wollte ich nicht.«
»Hörte sich an, als hätten Sie’s nötig gehabt. Möchten Sie darüber reden?«
Cassi holte tief Luft. »Ich weiß nicht. Es scheint alles so sinnlos.« Kaum hatte sie das Wort ausgesprochen, fiel Cassi wieder ein, daß Maureen dasselbe Wort gebraucht hatte.
»Was ist so sinnlos?« fragte Joan.
»Alles.«
»Zum Beispiel?« fragte Joan herausfordernd.
Cassi ließ die Hände von ihrem tränenverschmierten Gesicht sinken. »Ich war heute beim
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