Gottspieler
Licht im Wohnzimmer brannte. Wenn Thomas zu Hause und nicht im Krankenhaus war, hätte er sich normalerweise eigentlich in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen. Nervös eilte sie durch die Empfangshalle, wobei sie versuchte, ihr Haar so weit wie möglich in Ordnung zu bringen.
Aber es war nicht Thomas, der sie erwartete, sondern ihre Schwiegermutter.
Sie saß in einem mächtigen Ohrensessel, ihr Gesicht lag im Schatten. Von oben drang das Geräusch einer Toilettenspülung herunter.
Keine der beiden Frauen brach das Schweigen. Endlich, nach einer Ewigkeit, stand Patricia auf, die Schultern vorgebeugt, als hätte sie eine schwere Last zu tragen. Ihr Gesicht war eingefallen, die Falten um ihren Mund tiefer als sonst. Sie ging auf Cassi zu und blickte ihr in die Augen.
Cassi hielt dem Blick stand.
»Ich bin entsetzt«, sagte Patricia. »Wie konnten Sie uns das nur antun? Wenn er wenigstens nicht mein einziges Kind wäre, dann täte es vielleicht nicht so weh.«
»Wovon reden Sie eigentlich?« wollte Cassi wissen.
»Und dann auch noch ausgerechnet mit einem seiner Kollegen«, fuhr Patricia fort. »Ein Mann, der fortwährend versucht, seine Position zu untergraben. Wenn Sie schon ein Verhältnis haben mußten, warum dann nicht mit einem Fremden?«
»Ich habe gar kein Verhältnis«, sagte Cassi verzweifelt. »Das ist doch absurd. Thomas ist nicht mehr er selbst in letzter Zeit.«
Sie suchte im Gesicht ihrer Schwiegermutter nach einem Zeichen des Verstehens, aber Patricia stand nur stocksteif da und betrachtete sie mit einer Mischung aus Trauer und Zorn.
Cassi streckte ihr die Arme entgegen. »Bitte«, flehte sie. »Thomas ist sehr krank. Wollen Sie ihm nicht helfen?«
Patricia reagierte nicht.
Cassi ließ die Arme sinken. Schleppend ging die Mutter ihres Mannes zur Tür und aus dem Raum. Sie schien seit ihrer letzten Begegnung um zehn Jahre gealtert. Wenn sie nur zuhören würde. Aber Cassi war klar, daß Patricia sich eher von einer Lüge das Herz brechen ließ, als sich mit der weit schrecklicheren Wahrheit der Drogensucht ihres Sohnes auseinanderzusetzen. So sehr sie Thomas auch immer kritisierte, sie würde nie ernsthaft in Erwägung ziehen, daß etwas Grundlegendes mit ihm nicht stimmen könnte.
Noch lange, nachdem sie die Haustür hatte ins Schloß fallen hören, blieb Cassi im Halbdunkel des Wohnzimmers sitzen. In den letzten achtundvierzig Stunden hatte sie mehr Tränen vergossen als in den zwanzig Jahren davor. Wie konnte Thomas nur annehmen, sie hätte ein Verhältnis? Die Idee war einfach lächerlich.
Mit schweren Schritten stieg sie schließlich die Treppe hinauf, um ihren Mann zu suchen. Es war unmöglich, in dieser Situation einfach nur ins Bett zu gehen. Sie mußte versuchen, mit ihm zu reden. Einen Moment lang zögerte sie vor der Tür zum Arbeitszimmer. Dann klopfte sie sacht.
Er antwortete nicht.
Sie klopfte wieder, diesmal lauter. Als noch immer keine Antwort erfolgte, drückte sie die Klinke hinunter. Die Tür war abgesperrt. Entschlossen, mit ihm zu reden, nahm Cassi den Weg durch das Gästezimmer und das beide Räume verbindende Bad.
Er saß in seinem Lieblingssessel und starrte blicklos vor sich hin. Sein Ausdruck änderte sich bei ihrem Eintreten nicht im geringsten, obwohl er sie gehört haben mußte. Ein schwaches Lächeln hing an seinen Mundwinkeln. Selbst als Cassi niederkniete und seine Hand an ihre Wange preßte, bewegte er sich nicht.
»Thomas«, rief sie leise.
Endlich senkte er den Blick auf ihr Gesicht.
»Thomas, ich habe nie etwas mit George gehabt. Seit wir uns kennengelernt haben, bin ich dir immer treu geblieben. Ich liebe dich. Bitte, laß mich dir helfen.«
»Ich glaube dir nicht«, sagte er, unfähig die Worte richtig zu artikulieren. Dann verdrehten sich seine Augen, und er verlor das Bewußtsein, während Cassi noch immer seine Hand hielt. Sie klappte das Sofabett auf und versuchte, ihn aus seinem Stuhl zu bewegen, aber er rührte sich nicht. Sie blieb eine Weile einfach nur bei ihm sitzen, ehe sie in ihr Schlafzimmer ging, um vielleicht ein wenig Schlaf zu finden.
8
Am nächsten Morgen war Cassi schon wach und angezogen, ehe der Wecker im Arbeitszimmer losging. Er klingelte ausdauernd. Besorgt lief sie den Gang hinunter und öffnete die Tür. Thomas saß noch genauso in seinem Sessel, wie sie ihn in der Nacht verlassen hatte.
»Thomas«, sagte sie und schüttelte ihn sacht.
»Wa-was?« ächzte er.
»Es ist Viertel vor sechs. Mußt du heute morgen
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