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Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Titel: Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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nagte an der Haut seines Handrückens, als schäme er sich seiner Gedankenlosigkeit.
    »Oh, pfui näin, wie gemäin!« sagte der Sergeant Sitnikoff erregt in einem sonderbar gefrorenen baltischen Dialekt. Er seufzte laut und machte den Vorschlag, noch ein wenig beisammen zu bleiben, da doch die störenden Elemente sich nun entfernt hätten.
    Die andern waren einverstanden und lagerten sich wieder im Kreise. Kainz wurde gebeten, einen starken Kaffee zu kochen. Er kam bald mit einer großen Blechkasserolle zurück, in der er die Körner mit dem Kolben des Karabiners zermalmte.
    »Wirklich, sehr interessant, was Sie uns soeben erzählten, Korporal«, Sergeant Sitnikoff haßte das familiäre ›Du‹, der Gebrauch des ›Sie‹ war ihm unentbehrlich, er überhörte geflissentlich jede familiäre Anrede und zwang dadurch auch die abgebrühtesten alten Legionäre, ihm mit Höflichkeit zu begegnen. Hinter seinem Rücken machten sie sich über seine Pose, wie sie es nannten, lustig; doch wenn sie mit ihm sprachen, schienen sie selbst erfreut zu sein, sich dieser Höflichkeit unterwerfen zu können.
    »Denken Sie sich, mir sind auch sonderbare Dinge passiert. Ich war doch Rechtsanwalt in Odessa, als die Bolschewiken eindrangen. Im Pyjama und Schlafrock war ich nur über die Gasse gegangen, um mich rasieren zu lassen, richtiger um die Straßenecke. Und als ich zurückkam, war die ganze Häuserreihe schon besetzt. Was blieb mir übrig? Ich ging an den Hafen. Dort stand eine französische Besatzungstruppe, bereit zum Einschiffen. Bei ihr ein Trüpplein Russen, das sich für die Legion verpflichtet hatte. Ob ich nicht mitkommen dürfe, fragte ich den Sergeanten. Nein, die Listen seien abgeschlossen. Da erinnerte sich ein Korporal, daß ein Schreiner namens Sitnikoff, der sich auch verpflichtet hatte, im letzten Augenblick nicht erschienen sei. Ob ich für ihn einspringen wolle. Ich sagte ja. Wo sollte ich auch hin, ohne Geld, in Pyjama und Schlafrock? So kam ich also zu dem Namen Sitnikoff.«
    Smith gähnte laut, Pierrard stimmte ein. Die beiden verabschiedeten sich. Die Zurückbleibenden saßen still beisammen, bis einige Wolkenschwämme auch die letzten weißen Kreidetupfen der Sterne von der Schiefertafel des Himmels gelöscht hatten, die zurückblieb, weiß verschmiert.

Zeno
    Kommst, Korporal? Mir gehn schlachten«, sagte der alte Kainz. Türk schien verstanden zu haben, denn sein Schwanz zeichnete fröhliche Arabesken in den Sand. Sitnikoff dankte für die Gastfreundschaft, kümmerte sich nicht um das Schweigen Todds, sondern führte ihn, höflich plappernd, bis zur Tür der Baracke.
    Am Tor des Viehparks traf Lös den alten Hirten, der jeden Morgen kam, die Schafe auf die Weide zu treiben, hinaus auf die dürre Ebene, den Bled, auf dem nur Alfagras und wilder Thymian wuchs. Die mageren Schafe stolperten unsicher, das Maul mit Rotz verschmiert, durch das enge Gatter. Lös zählte sie, und der alte Hirte nickte dazu, versuchte auch manchmal, selbst mitzuzählen: »Ouachad, susch, thleta…«, aber bei drei mußte er aufhören. Zwei in der Nacht geborene Lämmer, die noch feucht waren, nahm der Alte unter die Arme. Er sah aus wie eine Karikatur des guten Hirten.
    Fünf Schafe behielt Kainz zurück und trieb sie über den Platz zum Schlachthaus. Der jüdische Schächter wartete dort und begrüßte Lös demutsvoll. Die Schafe mußten getötet werden nach dem alten Gesetz, denn die Eingeweide wurden den Bewohnern des Dorfes verkauft. Und nie hätten diese Fleisch von einem Tier gegessen, das von einem Rumi geschlachtet worden wäre.
    Der Schächter war klein und alt. Über dem weißen Gesicht erhob sich eine schwarze Kegelmütze, und ein schmaler Bart berührte den Überwurf aus weißer Wolle. Aus diesem zog er das rechteckige Messer und prüfte die Schärfe auf dem Daumennagel. Kainz warf ein Schaf auf den Rücken und kniete darauf. Mit priesterlicher Gebärde legte der Schächter die Hand auf das Maul des Tieres, drückte den Kopf gegen den Boden und fuhr, gedankenvoll sägend, mit dem Messer hin und her. Der Hals klaffte. Nur spärlich rann das Blut. In dem Schnitt war ein weißer Kreis sichtbar, und Luftblasen platzten mit leichtem Geräusch. Kainz sank mit den Knien tief in die Brust des Tieres.
    Lös aber blickte in die Augen des Juden. Sie sahen durch die blutbespritzte Lehmmauer hindurch, irgendwohin in eine unsichtbare Vergangenheit. Das Messer in der erstarrten Hand sah lächerlich altertümlich aus, wie ein

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