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Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Titel: Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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darauf dünne Matratzen. Braune Decken waren unordentlich am Fußende aufgestapelt. Ein Geruch nach Speisen und menschlichem Schweiß hockte fest zwischen den Wänden, und auch der Luftzug, der durch die beiden geöffneten Türen drang, vermochte ihn nicht zu vertreiben.
    Es war vielleicht die Schlaflosigkeit der letzten Nacht und die sonderbare Wachheit, die nach vielem Weingenuß zurückbleibt, die Lös' Augen schärfer machte als sonst. Auch das Auffrischen der Vergangenheit mochte dazu beitragen. Aber er sah die Gesichter der vielen, die ihm begegneten, so hell und scharf, wie man sonst nur Dinge sieht. Und sie schienen ihm alle einen gleichen Zug zu tragen, viel Müdigkeit vor allem und eine graue Stumpfheit, die unter der braungebrannten Haut durchschimmerte. Auf allen Gesichtern war diese Stumpfheit zu sehen, ob sie nun Deutschen gehörten oder Russen. Einzig der alte Guy, ein Franzose, der zu alt war, um bei der regulären Truppe zu dienen, torkelte über den Hof und trug auf seinem roten Gesicht die Fröhlichkeit wie ein buntes Banner. Er sang und lachte, umarmte Lös. Als dieser sich gereizt freimachte, verschwand die Buntheit aus des andern Gesicht. Es wurde farblos und zerrissen, Tränen füllten die Furchen aus, die das Alter und die Luft gegraben hatten. Aber trotz allem, trotz diesem Schmerz, schien das Gesicht des alten Guy noch Leben zu bewahren, ein Leben, das den andern fehlte. Denn plötzlich rief er: »Vive la France« und entschwand im Dunkel einer Tür, fuchtelnd und rotzend.
    Die Baracke der Mitrailleusensektion enthielt eine goldenschimmernde Dunkelheit. Löcher, in das Wellblechdach gebohrt, ließen viele Sonnenstrahlen ein. Auf einem Bettgestell saß ein einsamer Mann. In der Linken hielt er einen kleinen runden Spiegel, mit der Rechten teilte er hingebungsvoll seinen kurzen Bart in zwei Teile. Immer wieder fand er ein Härchen, das nicht an seinem Platze war, immer wieder fuhr der Kamm dem Kinnscheitel entlang. Lös betrachtete ihn eine gute Weile. Endlich fühlte der Kämmende den Beobachter, er wandte sich um, eine Grimasse, verlegen und traurig, hob die dicken Wangen. Er trat näher: »Ponimaisch porussky?« Lös schüttelte den Kopf. »Ah, Deutscher.« Verbeugung, Hand aufs Herz mit einer edlen Geste:
    »Gestatten Sie, Korporal Koribout.«
    »Lös.«
    »Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Bin gestern neu angekommen. Ja. Ganz angenehm in der Kompagnie, nicht?«
    Stimmen riefen nach Lös. Dazu knatterte Peitschenknallen. Lös winkte ab und lief davon.
    Beim Tor stand ein Fuhrmann, rot leuchtete seine Leibbinde, blau das Hemd. Der kurze Peitschenstiel in seiner Hand ließ die lange Schnur Spiralen beschreiben, die in einer knallenden Wellenlinie endeten.
    Vor dem Posten hielten die hohen zweirädrigen Karren, jeder bespannt mit sechs Maultieren hintereinander. Knarrend fuhren sie durch das enge Tor, luden in der Verwaltung ab (die dritte Sektion war zum Abladen abkommandiert worden) und fuhren wieder hinaus, während die Kompagnie fast vollzählig Spalier bildete. Diese Spanier in Zivil, die vorüberzogen, wirkten wie Schauspieler, die ein Zugstück spielten: das Spiel vom freien Mann; leben kann er wie er will, seine Stelle verlassen wann er will, essen, was er sich kauft, und nicht das, was ihm von einer Autorität auf Befehl gekocht wird. Welch anderes Bild von Freiheit soll sich der Soldat wohl machen?
    Lös hatte den Führer des Wagenzugs zusammen mit dem Chef zum Mittagessen eingeladen: der alte Kainz hatte zwei Lämmer geschlachtet und sie im Backofen mit roten Pfefferfrüchten, Tomaten und neuen Kartoffeln gebacken. Dazu gab es aus der Cooperative weißen algerischen Wein: Kebir, den Großen. Der Führer hatte eine Flasche Absinth gestiftet und der Chef ›Amer Picon‹.
    Die Gerste wurde verkauft, und der Führer zahlte. Ein Fünfzigfrankenschein verschwand in Narcisses Hand. Dafür erneuerte der Chef sein Versprechen, beim Abladen des letzten Wagens draußen vor dem Posten zugegen zu sein.
    Und dies erwies sich als notwendig. Denn Capitaine Chabert, der den ganzen Morgen unsichtbar geblieben war, verzichtete heute auf seine Siesta und ging im glühenden Sonnenschein draußen vor dem Posten barhäuptig spazieren. Er umkreiste gedankenvoll den Wagen, dessen Säcke nach und nach auf die andern Wagen verteilt wurden. Irgendwie schien es ihn zu belästigen, daß nicht die ganze Fracht in seinem Posten blieb. Aber in dem Augenblick, als der Capitaine einen von den Fuhrleuten

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