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Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Titel: Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Respekt schüttelte ihn. Er kroch in sich zusammen und summte nur ganz leise die Fortsetzung des Liedes.
    Lös gelang es, die Aufmerksamkeit des Chefs zu wecken. Er erzählte den Fall Frank. Der Chef wackelte mit dem Kopf, packte die Mulattin, schob sie weit von sich, gab ihr noch einen Klaps, um diese Vertreibung erträglicher zu gestalten, und rief ihr nach: »Ich komm dann zu dir, jetzt muß ich reden.« Dann sah er Lös böse an.
    Eine verfluchte Dummheit, dem Major anzuläuten! Jetzt würde er, der Leutnant, erst recht wütend sein, der Major auch, denn Frank sei doch als Simulant bekannt! »Warum hast du mich nicht um Rat gefragt?« war der Refrain seiner Rede.
    Lös entschuldigte sich. Der Chef sei nicht dagewesen.
    »In solch wichtigen Fällen sucht man mich wenigstens. Mich, den Mann der großen Erfahrung. Glaubst du, ich habe umsonst zwölf Jahre Dienst? Gegen mich seid ihr doch alle nur Wickelkinder, du besonders! Und jetzt hast du Angst!« So eindringlich sprach der Chef, daß Lös wirklich vermeinte, die Anzeichen einer nahenden Kolik zu verspüren. Dann blähte sich Narcisse gewaltig, und sein Schweigen war noch bedrückender als seine Rede. Als aber Veitl, mit einem dummen Grinsen, renommierte, er sollte eigentlich Wache stehen, aber er sei schlau, das Drücken habe er in der Legion gelernt, zog sich das Gesicht des Chefs so zusammen, daß der Bart waagrecht stand. Schweigend zündete Narcisse eine Zigarette an, ohne die Schachtel herumzubieten, stand dann schweigend auf, packte Veitl am Arm und schleppte ihn zur Tür hinaus.
    Lös wollte folgen. Als er sich aber ein wenig mühsam erhoben hatte, durchdrang ihn im Augenblick, da er die Kante des Stuhles an seinen Kniekehlen spürte, eine schmerzende Wachheit: so, als sei plötzlich in ihm ein Wesen erwacht, das lange Jahre geschlafen hatte. Die Umgebung, die seinem Blicke Grenzen setzte, war klar und hell, viel klarer und heller, als es mit der schlechten Beleuchtung vereinbar war. Zugleich sah Lös wie durch einen umgekehrten Feldstecher die Dinge verkleinert und in die Ferne gerückt. Puppenhaft wirkten die drei am Tisch, und der Spaniol, der Weingläser polierte, die Mulattin mit dem bunten Kopftuch, die ihre dünnen Fußgelenke umspannt hielt. Die Karbidlampe an der Wand gurgelte grelles Licht und spuckte es über die Tische. ›Die Gegenwart‹, dachte Lös, ›das ist die Gegenwart.‹ Die schöne schmerzhafte Gegenwart, in der man ewig leben möchte. Nicht ›man‹, ich möchte darin leben. »Ich«, flüsterte er vor sich hin. Als müsse er sie suchen, ging er vorwärts mit tastenden Füßen. Alles war überdeutlich, er meinte jeden Teil seines Körpers zu fühlen: den brennenden Magen, die mit schwerer Müdigkeit gefüllten Muskeln der Schenkel. Das Blut, das die Haut der Hände spannte bis zu den Fingerspitzen, das im Kopfe hämmerte! Zuviel Blut! dachte Lös, darum glaub ich, daß diese Hände von einer Schmutzschicht überzogen sind; wird sie sich noch abwaschen lassen? Eine riesige feuchte Hand legte sich auf sein Gesicht und drängte ihn zurück. Er hatte die Türe ins Freie geöffnet… »Der Nachtwind!« murmelte er erleichtert.
    Still und leer lag der große Platz vor ihm. Und die Berge schimmerten, durchsichtig und schwarz, viel durchsichtiger als der Himmel aus verrußtem Glase, während die Sterne dumpfes Licht ausstrahlten… Die Baracken des Postens hockten wie unbekannte riesige Tiere hinter der Mauer…
    Lös sah eine Gruppe, die vor dem Eingang zum Posten stand. Und dann kam Sergeant Baguelin zu ihm. Er flüsterte:
    »Sie haben gar nicht bemerkt, daß ich Sie verlassen habe. – Ich bin schnell in mein Büro gegangen, um Geld zu holen, und als ich wiederkam, waren Sie mit Ihren Begleitern schon verschwunden. Aber ein anderer stand am Tor!« Baguelin sprach geheimnisvoll drohend. Der Leutnant! Er hatte eine Runde gemacht und den ganzen Posten leer gefunden; da gab er mir den Auftrag, sie alle zu holen. Aber unterwegs habe ich den Chef mit Veitl getroffen. Jetzt stehen die beiden beim Leutnant, und soviel ich habe hören können, schiebt der Chef alle Schuld auf Sie. Beeilen Sie sich, sonst müssen Sie vielleicht diese Nacht noch in der Zelle schlafen.
    Die helle Wachheit erlosch, eine andere dumpfe Gegenwart stieg auf, keine unbedingte, keine ewig währende. In dieser neuen erlosch das Gefühl für den eigenen Körper, nur Rechnungen, Zellen, Kriegsgericht gab es in ihr, und statt der zwerghaften Umgebung nur noch eine quälende

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