Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion
Körper eine gefrorene Festigkeit, die gläsern, spröde und zerbrechlich war…
Lös stand auf dem Hügel hinter seiner Hütte, innerhalb der Umfassungsmauer, und starrte auf die Ebene, auf der, nähergerückt durch die mit Staub gesättigte Luft, kantig der Ksar sich erhob. Zwei Frauengestalten, in weißen Gewändern, warfen lange Schatten auf die Erde. Sie winkten, als sie Lös erkannten, liefen näher, winkten wieder. Zeno war es und Alice. Ganz in der Ferne aber, fast schon am Bergabhang, sah Lös zwei dunkle Punkte: ein helles Blitzen, nach langer Zeit ein dumpfer Knall. Leutnant Mauriot hatte wohl einen Hasen geschossen, denn die eine Gestalt lief, während die andere, Bergeret ohne Zweifel, reglos stehenblieb. Lös rief den Mädchen zu, sie sollten warten, er komme gleich. Er lief den Hügel hinab, betastete seine Wangen und sein Kinn: Bartstoppeln stachen ihn.
In der Hütte mußte er die Stallaterne anzünden, um sein Gesicht im Spiegel sehen zu können. Es war ihm, als erblicke er sich seit langem zum erstenmal. Ein aufgedunsenes rotes Gesicht mit matten, farblosen Augen – Fischaugen! Rot angelaufen die Nase, und ein Netz bläulicher Äderchen überzog die Wangen. Ein wenig erträglicher wurde das Bild, als die schäumende Seife einen Teil der Haut bedeckte. Lös schabte sie ab, ohne es zu wagen, in den Spiegel zu blicken. Und dann lief er los, keuchend wie ein alter Mann, durch die enge Schlucht der Baracken, hörte nicht die Stimme am Tor, die »Halt!« rief, lief den beiden Frauen entgegen, die schon die Hände ausstreckten, um ihn zu fassen, um ihn mit sich fortzuziehen. Da packte ihn jemand an der Schulter, Lös wollte die Hand abschütteln, sie ließ nicht los. Baskakoff stand hinter ihm, den Gewehrriemen über der Brust. »Schluß jetzt«, sagte er keuchend, »mitkommen.« Lös fror plötzlich, er zitterte, fast hätte er begonnen zu weinen. Ihm war zu Mute wie damals in der Kindheit, wenn der Vater in seiner Schulmappe ein Nick-Carter-Heft entdeckt hatte. Er sah sich nicht nach den kreischenden Frauen um, sondern folgte Baskakoff: willenlos, mit gesenktem Kopf…
In der Verpflegung angekommen, warf er sich auf den Boden und wartete. Aber gleich sprang er wieder auf, um ziellos durch den Posten zu laufen. Er traf niemanden: Narcisse, der Chef, war ausgegangen, Smith, der Schneider, ebenfalls; nur Pullmann schlich an den Mauern entlang, zweimal begegnete ihm Lös. Beim drittenmal sah Lös die Ordonnanz im Zimmer des Leutnants verschwinden.
Immer noch war der Leutnant nicht zurückgekommen. Da, plötzlich knatterte ein Auto durch die Stille – ein leichtes Camion. Und nun erschienen die Zurückgebliebenen plötzlich: Voraus der Chef, dann Smith und Veitl, sie scharten sich um das sommersprossige Männlein, das dem Auto entstieg – ein blasses, spitzgedrehtes Schnurrbärtchen wuchs ihm aus den Nasenlöchern. In der Mitte des Hofes stellte sich der Kleine auf und erzählte mit schriller Stimme: Die Kompagnie sei von einem Dschisch überfallen worden, ein Gum habe die Meldung nach Rich gebracht, mit dem Befehl, einer der Krankenwärter des Lazaretts müsse sofort nach Gourrama fahren. Zum Glück sei gerade ein Camion von Midelt durchgekommen, das habe ihn mitgenommen. Ja, der Kampf sei blutig gewesen, habe der Gum berichtet. Kein Toter zwar, aber fünf bis sechs Verwundete. Der Zahlmeister sei erschossen worden, sein Auto erbrochen, aber die Camions seien unversehrt, sie seien zum Teil in einem Zwischenposten abgeladen worden, um die Verwundeten aufzunehmen und sie auf dem kürzesten Wege nach Rich zu bringen.
Die Aufregung unter den Zuhörern war groß, eine freudige Aufregung, sie setzte sich zusammen aus vielen Bestandteilen: Genugtuung, nicht dabei gewesen zu sein, Befriedigung über die Abwechslung, Schadenfreude (Zahlungsoffiziere waren sehr unbeliebt). Der Chef versuchte einen kleinen Tanzschritt und pfiff dazu einen Marsch. Lös trat zu Baskakoff: »Du«, sagte er, und es war das erstemal, daß er diesen Mann duzte, seit jener Auseinandersetzung in der Verpflegung. »Wollen wir nicht Frieden schließen? Gib mich nicht an, und du kannst haben, was du willst.« Seine Stimme zitterte dabei, aber er empfand keine Scham vor der Erniedrigung, denn er war von ihrer Nutzlosigkeit überzeugt. Baskakoff sah den Sprechenden lauernd an, schwieg eine ganze Weile und leckte an seinen trockenen Lippen. »Alles, was ich will!« Er bediente sich auch des Deutschen, es war bei ihm eine verquollene Sprache,
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