Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion
fortgeritten; vorher habe er gesagt, Lös solle sich beruhigen. Der Capitaine sei ein guter Mann, aber seine Aufregung müsse sich zuerst legen. In ein paar Wochen werde die ganze Geschichte vergessen sein, und vom Kriegsgericht sei dann nicht mehr die Rede.
Oh, tröstlich ist die Dunkelheit im hohen Krankenzimmer, kein zähes Pech mit heller Dämmerungslinie. Nicht abgeschlossen ist man vom Leben, wieder aufgenommen ist man von einer Gemeinschaft; dies gibt Sicherheit und Ruhe. Drüben singen sie:
»Ja, das war die böse Schwiegerma-ma-ma,
Schwiegerma-ma-ma, Schwiegerma-ma-ma.
Eine Triko-Triko-Trikotaille hat se an
Das Luder,
Stiefel ohne Sohlen
Und kein Absatz dran…
Und als der Müller nach Hause kam,
Vom Regen war er naß, ja war er naß…«
Lös summt leise mit. Nur dürftig vermag der Gesang durch die Mauer zu dringen und flattert dann im weiten Zimmer umher und in dessen großer Leere. Aber das Lied gibt die Sicherheit menschlicher Nähe: nur zu rufen braucht Lös, und sogleich wären sie da, die Kameraden von nebenan; langsam versinkt die Erinnerung an die beiden letzten Nächte.
Aber plötzlich erhebt sich drüben ein Brüllen, das anschwillt. Vergebens ruft Sitnikoffs Stimme: »Ruhe«, das Geheul überschlägt sich, wird dumpf und drohend; ein einzelner Schrei steigt auf, wie eine Blase aus dunklem Wasser – zerplatzt. Dann Schweigen und aufgeregtes Geflüster. Schritte eilen am Fenster vorbei, die Tür wird aufgerissen: »He, Krankenwärter!« ruft eine Stimme, keuchend und bedrückt von der Finsternis. »Er ist nicht hier«, sagt Lös laut. Die Schritte kommen näher, ein Zündholz flammt auf, ein Stuhl fällt um. »Sie haben einen Sergeanten niedergeschlagen«, sagt der Schatten. Lös erkennt im letzten Aufflammen des Streichholzes Koribout.
Wieder Schritte vor dem Fenster, schwere Schritte von Leuten, die eine Last tragen. Ein Körper wird auf das Bett neben Lös geworfen; die Träger drängen eilends wieder hinaus, als seien sie verfolgt. Koribout ordnet bedächtig die Glieder des Leblosen. »Wer ist es?« fragt Lös. In der Stille hat er versucht, die Atemzüge des Ohnmächtigen zu erlauschen. Sie sind unhörbar.
»Denken Sie, es ist Sitnikoff.« Koribout ist erlöst, weil er sprechen kann. »Er ist mein Freund und ich habe ihn gewarnt, er soll sich nicht mehr mischen in diese Angelegenheit. Er hat retten wollen eine junge Seele, ein sehr schönes Unternehmen, ich leugne es nicht, und gibt bestes Zeugnis für seine Menschlichkeit. Nur ist diese Menschlichkeit einfach unbrauchbar in der Legion. Ich habe es Sitnikoff oft gesagt. Wir sind hier, habe ich gesagt, um zu registrieren, nichts sonst, alles andere ist gefährlich. Denn unsere Argumente werden hier nicht verstanden, nur die Gewalt herrscht, die reine Gewalt, die Faust.« Das letzte Wort spricht Koribout mit deutlich getrenntem Diphthong. Er hat sich neben Sitnikoff aufs Bett gesetzt und spricht, über Lös hinweg, gegen das Viereck des Fensters. Der Bewußtlose scheint ihm weiter keine Sorge zu machen, wichtig ist jetzt einzig die Formung des Vorfalls.
Nun, Pausanker, die Ordonnanz des Sergeanten Farny, sei von Bergeret nur oberflächlich untersucht worden, wie die anderen, und sei gesund befunden worden. Sitnikoff aber habe darauf gedrängt, daß Pausanker sich noch einmal zur Visite melde, denn er sei angesteckt, und eine Verzögerung der Kur könne die Krankheit unheilbar machen. Aber von Farnys unheilvollem Einfluß bestimmt, habe Pausanker sich plötzlich geweigert, noch einmal zum Major zu gehen. Inzwischen sei Bergeret fortgeritten. Da habe Sitnikoff gedrängt, Pausanker solle zum Capitaine gehen und diesem beichten. Pausanker sei einverstanden gewesen.
Nun hätten wohl ein paar Alte aus der Sektion Farny die Überredungsversuche Sitnikoffs verraten. Farny habe wüste Drohungen ausgestoßen, sich aber nicht selbst an Sitnikoff gewagt. Farny habe darum Dunoyer, dem alten Guy und Stefan den ganzen Nachmittag zu trinken gezahlt und sie dann in die Mitrailleusensektion geschickt, um Pausanker dort zu holen. Die drei seien in die Baracke eingedrungen, Dunoyer habe Pausanker aufgefordert, sofort zu Farny zu kommen, denn dieser brauche seine Ordonnanz. »Ich fordere Sie auf, zu bleiben, Pausanker«, habe Sitnikoff sehr ruhig gesagt, ohne dem tätowierten Korporal zu antworten. Da habe Dunoyer ein Zeichen gegeben, seine beiden Genossen hätten Pausanker gepackt und ihn laufend fortgeschleppt, bevor die Sektion noch habe eingreifen
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