Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Farben, wie er ihn geträumt hatte, war da, reich, neu und bedeutend. Das Einzelne war untergeordnetdem Ganzen, und das Ganze war in jedem Einzelnen. Die widerstrebenden Farben waren ein Geleucht, rot und golden die rechte Seite, die linke blau und silbern, in jedem Licht war Schatten, nur eben verschieden gestuft, und in jedem Schatten war Licht, und in all dem Geleucht standen nackt, hart und genau die Gesichter, das Gemeine im Ungemeinen. Er dachte das nicht, er hätte das nicht ausdrücken können: er spürte es.
Er schaute, er starrte, scharf, lange, unehrerbietig, und dieses Mal war das Gefolge ernstlich schockiert. Da stand dieser Mensch, dieser geringe Untertan in seinem schäbigen Kittel, und vor ihm die Könige und Prinzen in ihrer ganzen Pracht, und er beschaute sie gleich einem General, der Parade abhält. Das war schlechthin Aufruhr, so was wäre vor der Französischen Revolution nicht möglich gewesen, und warum ließen sich’s die Bourbonen gefallen?
Francisco begann zu malen, hastig, lange. Die alte Infantin María Josefa klagte, sie könne nun nicht länger stehen, und Carlos wies sie zurecht, dieses bißchen Beharrlichkeit sei das Wenigste, was man von einer Infantin verlangen könne. Goya aber hörte nicht, er hörte in Wahrheit nicht, er war hingegeben an seine Arbeit.
Dann endlich machte er eine Pause, und alle räkelten sich und wollten gehen. Aber: »Zwanzig Minuten noch!« bat er, und da er die unwilligen Gesichter sah, flehte er sie an, beschwor er sie: »Nur zwanzig Minuten noch! Dann brauche ich Sie nicht mehr zu bemühen, kein einziges Mal mehr.« Sie fügten sich. Er malte. Stille war, man hörte eine große Fliege gegen eines der Fenster summen. Endlich sagte Goya: »Danke, Majestät. Danke, Majestät. Danke, Königliche Hoheiten.«
Als er allein war, saß er eine lange Weile erschöpft, glücklich. Nun war, was er gesehen hatte, Gestalt geworden, er konnte es nicht mehr verlieren.
Dann, heiß und jäh, fiel über ihn die Sehnsucht nach Cayetana. An der Gewalt, mit der dies geschah, spürte er, welcheEnergie es ihn gekostet hatte, die ganze Zeit über den Gedanken an sie hinunterzuzwingen.
Es wäre klüger gewesen, es wäre das einzig Kluge gewesen, hier in Aranjuez zu bleiben und weiterzuarbeiten. Aber er fragte sich: Wird sie noch in Madrid sein? Und wie lange oder wie kurz noch? Und er
Schickte Botschaft nach Madrid zur
Herzogin, er werde an dem
Nächsten Tag zurück sein. Und er
Suchte Gründe sich zusammen,
Klügelnd, daß er und warum er
Um des Bildes willen dringlich
Ein paar Tage in Madrid ver-
Bringen müsse. All dies war sehr
Töricht, und er wußte es und
Tat es trotzdem.
Und er rollte
Seine große Farbenskizze
Und die einzelnen Modelle
Sorglich ein und fuhr mit ihnen
Und mit großem Stolz und vieler
Hoffnung und in ungeheurer
Eile nach Madrid.
28
Die erste Nacht nach seiner Rückkehr war sie bei ihm. Die Sommernächte waren kurz, und es war gefährlich für Cayetana, wenn man sie des Morgens auf dem Weg von seinem Haus zu dem ihren überraschte. Trotzdem blieb sie bis in die Dämmerung.
Am andern Abend kam sie sehr früh. Er erzählte ihr von seiner Arbeit, zeigte ihr die Farbenskizzen, versuchte ihr zuerklären, was Neues, Großes er zu machen im Begriffe war. Sie indes hörte kaum auf seine unbeholfenen Worte, sie schaute auf die Skizzen, auf die Versammlung eingebildeter, geschwollener Köpfe über den prunkenden Kleidern, und sie verzog den Mund, sie lachte. Lachte laut, vergnügt. Er war gekränkt. War das die Wirkung? Er bereute, daß er ihr das Werk gezeigt hatte.
Sein Verdruß dauerte kurz. Er war glücklich, sie zu sehen, sie zu spüren, sie zu haben. Alles an ihr machte ihn glücklich. »Ven ventura, ven y dura – Glück, mein Glück, sei gut und bleibe«, dachte er, summte er vor sich hin, wieder und wieder.
Auch diese zweite Nacht blieb sie bei ihm. Vielleicht waren das ihre letzten Stunden in Madrid; morgen waren die drei Wochen um, welche María Luisa ihr gelassen hatte. Aber sie glaubte nicht daran, daß man es wirklich wagen werde, sie mittels Edikts ins Exil zu schicken, und auch er konnte nicht daran glauben.
Am Nachmittag darauf erhielt er einen hastigen Zettel von ihr: »Komm sogleich«, und er wußte, sie war ausgewiesen. Er lief zu ihr.
In dem großen Palacio Liria war Aufruhr. Viel Dienerschaft rannte ab und zu, Befehle wurden ausgegeben, widerrufen, selbst die würdige Doña Eufemia verbarg nicht ihre Erregung. Ja,
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