Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
er ein Offizier des blockierenden englischen Geschwaders; die Herren liebten es, in Verkleidung nach Cádiz zu kommen. Erstaunt und amüsiert erfuhr Francisco im Laufe des Abends, daß der kluge Señor Martínez die Ausfahrt seiner Flotte durch gewisse Abmachungen mit englischen Offizieren gesichert hatte.
Auch Don Miguel war da. Er hatte viel übrig für Señor Martínez, er hatte Verständnis für seine kunsthistorische Beflissenheit und freute sich seiner fortschrittlichen Haltung. Der junge Quintana indes war nicht gekommen; er verzieh es Sebastián Martínez nicht, daß er ein patriotisches Unternehmen wie die Führung seiner Flotte aufgab um eines hübschen Gesichtes willen.
Der sonst so sichere Sebastián Martínez war bemüht, auch an diesem Abend bürgerliche Gehaltenheit an den Tag zu legen. Er widmete sich, wie es sich gebührte, der Herzogin nur wenig mehr als seinen andern Gästen, aber er konnte nicht verhindern, daß seine flehenden, bewundernden Blicke wieder und wieder zu ihr zurückkehrten.
Don Miguel verwickelte ihn in ein umständliches antiquarisches Gespräch. Er hatte in der Bibliothek des Señor Martínez einige frühe Drucke gefunden von Büchern, die in Hinsicht des Glaubens nicht unbedenklich waren. »Nehmen Sie sich in acht, Señor«, scherzte er. »Ein Mann, so aufgeklärt und so reich wie Sie, ist eine starke Versuchung für die Herren der Inquisition.« – »Meine Schiffe haben die Linien der Engländer durchbrochen«, antwortete bescheiden stolz Señor Martínez, »ich werde meine Bücher und Meinungen auch durch das Heilige Offizium zu steuern wissen.«
Die Herzogin und Goya hatten erwartet, daß man sich nach der Tafel an die Spieltische setzen werde, wie das üblich war. Allein Señor Martínez hatte sich was anderes ausgedacht. »Darf ich Sie in den Theatersaal bitten, Doña Cayetana?« forderte er die Herzogin auf. »Die Serafina wird für Sie tanzen.« – »Die Serafina?« fragte sie, ehrlich überrascht.
Die Serafina war die berühmteste Tänzerin Spaniens und abgöttisch geliebt; denn sie hatte dem spanischen Volk einen großen Sieg errungen. Es waren nämlich bei dem Kardinal-Primas in Toledo viele Klagen eingelaufen, vor allem von ausländischen Kirchenfürsten, daß man in dem frommen Spanien so gemeine und unzüchtige Tänze wie den Fandango und den Bolero dulde. Der Kardinal-Primas hatte schließlich ein Konsistorium einberufen, welches über ein allenfallsiges Verbot dieser Tänze befinden sollte. Der Erzbischof von Sevilla, die Mißstimmung fürchtend, welche ein solches Verbot vor allem in Andalusien hervorrufen mußte, hatte vorgeschlagen, die ehrwürdigen geistlichen Richter sollten sich doch die Tänze erst vorführen lassen. Die Serafina und ihr Partner Pablo tanzten vor dem Konsistorium. Es fiel den Prälaten schwer, still in ihren Sesseln sitzen zu bleiben, und der Fandango war nicht verboten worden.
Bald darauf aber war die Serafina verschwunden, es hieß, sie habe geheiratet, jedenfalls hatte man sie seit zwei, drei Jahren nicht mehr öffentlich tanzen sehen. »Die Serafina?« fragte also angenehm erstaunt die Alba. »Sagten Sie: die Serafina?« – »Sie wohnt jetzt in Jerez«, gab Señor Martínez Auskunft. »Sie ist die Frau meines dortigen Geschäftsführers Vargas. Es ist nicht ganz leicht, Señora Vargas zu bewegen, vor andern zu tanzen als vor ihren Vertrauten. Für Sie, Frau Herzogin, tanzt sie.«
Man begab sich in den Theatersaal. Der Raum war geschickt so hergerichtet, daß er den Eindruck einer jener Stätten machte, wo Tänzer aus dem Volke ihre Darbietungen vorführten. Der sicher sonst sehr elegante Theatersaal war verwandelt worden in den verschmutzten, verelendeten Empfangsraum eines herabgekommenen, edeln maurischen Hauses.Abgetretene, verflickte, ehemals sehr kostbare Teppiche waren da, die Wände waren mit weißem, angeschmutztem Leinen verkleidet, die Decke kunstvoll mit roten und goldenen Arabesken verziert. Ein paar schäbige Holzstühle standen da, ein paar Funzeln und Kerzen gaben schlechtes Licht.
Die Gäste setzten sich, und schon hörte man von der Bühne her hinter dem geschlossenen Vorhang das scharfe, aufrüttelnde Klappern der Kastagnetten. Der Vorhang öffnete sich, die Szene zeigte eine primitiv gemalte andalusische Landschaft, ein einsamer Musikant mit seiner Guitarre saß verloren auf einem Hocker in der Ecke. Die Kastagnetten wurden lauter, aus den Kulissen kam von links der Majo, von rechts die Maja, sie kamen
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