Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
klatschten, diese Granden und reichen Herren, in die Hände, stampften mit den Füßen, im Takt, schrien Olé, und sogar der Geschäftsfreund des Señor Martínez, der englische Offizier, der zuerst schockiert gewesen war, stampfte mit und schrie Olé. Die Serafina aber tanzte. Sie wandte, sich kaum von der Stelle bewegend, den Zuschauern bald den Rücken zu, bald die Seite, bald das Gesicht, ein Zittern lief ihr, immer häufiger, über den Körper, esriß ihr die Arme hoch, sie zuckten in der Luft, dann plötzlich schlug wieder jene Pause ein, welche sie und mit ihr alle erstarren ließ, und dann war da ein letztes, sehr kurzes, in seiner Schwüle fast unerträgliches Tanzen, Reißen, Zucken, Verlangen.
Die Soloszene war zu Ende, und von neuem getanzt wurde, nun aber in atemloser Folge, die Pantomime von dem uralten Zweikampf der Liebe: Scheu, Verlangen, finstere Entschlossenheit, neue Furcht, steigende Gier, Nachgeben, Erfüllung, Erlösung, schlaffe, dumpfe Zufriedenheit.
Nichts Lockeres, Frivoles war in diesem Tanz, er war von wildem, überzeugendem Ernst. Und so nahmen ihn die Zuschauer, so gaben sie sich selber ihm hin. Dieser Gesang mit seinen banalen, ewig wahren Worten, diese Musik, die keine Musik war, sondern ein Getön, das einen betäubte und hinriß, keine Kunst gab es, die besser ausdrückte, was diese spanischen Menschen spürten, lebten. Vor diesem Tanz löste sich das rechnende, wägende Denken, die lästige Logik in nichts, hier brauchte man nur zu schauen und zu hören, man durfte, man mußte sich treiben lassen im Gewell dieser Töne, im Geflatter dieser Bewegungen.
Die Herzogin von Alba fühlte wie die andern. Ohne daß sie’s wußte, traten ihre kleinen Schuhe mit den hohen Absätzen rhythmisch den Boden, schrie ihre schrille, kindliche Stimme Olé, sie schloß die Augen, sie konnte die strömende Lust nicht mehr ertragen.
Franciscos massiges Gesicht war melancholisch, ernst, beinahe leer wie das der Tanzenden. Vieles war in ihm und ging durch ihn, ohne daß es Wort und Bewußtsein geworden wäre. Seine Augen hingen an diesem andalusischen Bolero oder wie immer der Tanz sich nennen mochte, er selber aber in seinem Innern tanzte seine eingeborene aragonesische Jota, diesen geradezu kriegerischen Tanz, in welchem Mann und Weib einander bedrohen, einen Tanz ohne Anmut und ohne Schonung, voll gehaltener Leidenschaft, er hatte ihn oft getanzt, sehr aufrecht, wie es der Tanz verlangte, als gingeman in eine Schlacht. Und mit den andern im Takt klatschte er in seine kräftigen Hände und schrie mit hoher Stimme Olé.
Und dann war der Tanz zu Ende, und die Tänzer hatten sich nicht berührt und hatten doch alle Phasen der irdischen Liebe selber durchlebt und die andern durchleben lassen. Vereint nun, während der Vorhang fiel, wichen sie zurück in die Kulissen. Die Musik riß ab. Man klatschte nicht. Die Zuschauer saßen stumm, selber erschöpft, ausgeleert.
Señor Martínez sagte zu Goya: »Ich bin glücklich, Exzellenz, daß ich Ihnen eine Freude habe bereiten können.« Es war aber in seinen Worten ein Unterton, der Goya ärgerte; es ärgerte ihn, daß er sich alles vom Gesicht ablesen ließ, daß er so deutlich hatte erkennen lassen, wie sehr Serafina ihn erregt hatte. Sicher auch hatte Cayetana mit ihren schnellen Augen wahrgenommen, wie ihm zumute war. Da sagte sie schon: »Einen Mann wie Sie muß die Serafina angezogen haben. Sie sind sehr berühmt in Cádiz, Don Francisco. Wenn Señor Martínez die Serafina bewegen konnte, für mich zu tanzen, wird er sie bestimmt veranlassen können, auch Ihnen einen Gefallen zu tun.« Und Señor Martínez fiel sogleich ein: »Ein Porträt der Serafina wird Sie sicherlich mehr interessieren, Exzellenz, als das eines alten Geschäftsmannes. Señora Vargas wird sich eine Ehre daraus machen, Ihnen zu sitzen, besonders wenn Sie das Porträt mir ablassen wollen. Sagte ich Ihnen schon, daß Señor Vargas mein Geschäftsführer in Jerez ist?«
Die Serafina kam. Man überschüttete sie mit Lob und Preis und Galanterien. Sie dankte ruhig, freundlich, ohne Lächeln, sie war gewohnt, gefeiert zu werden.
Goya sagte nichts, er starrte sie nur an. Endlich wandte sie sich an ihn. »Wie lange werden Sie in Cádiz bleiben, Herr Erster Maler?« fragte sie. »Ich weiß es nicht«, erwiderte er. »Wohl noch ein oder zwei Wochen. Ich werde dann noch einige Zeit in der Nähe sein, in Sanlúcar.« Sie sagte: »Auch ich lebe nicht weit von hier, in Jerez. Ich hatte die
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