Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
aufeinander zu, Liebesleute, lange getrennt, die einander wiederfanden. Ihre bunten Kostüme waren aus billigstem Stoff, besetzt mit viel goldenem und silbernem Flitter, die Hosen des Burschen, der Rock des Mädchens schmiegten sich eng den Hüften an, der Rock war aus dünnem Stoff, unten weit, nicht lang. Sie kümmerten sich nicht um das Publikum, sie schauten nur einander an. Die Arme erhoben, tanzten sie aufeinander zu.
Noch immer hörte man nichts als das leise, anfeuernde Klappern der Kastagnetten. Nun waren die Tänzer einander ganz nahe. Da wich sie zurück, tanzte rückwärts, immer mit ausgebreiteten Armen, er verfolgte sie, langsamer, rascher, beide hatten sie die Lippen leicht geöffnet, es war jetzt mehr Pantomime als Tanz, sie schauten einander an, schauten zu Boden. Sie floh weiter, langsamer jetzt, sie lockte ihn, kokettierte mit ihm; er verfolgte sie, noch zaghaft, doch mit steigender Begierde. Nun aber wandte sie sich ihm zu. Die Kastagnetten wurden lauter, die Guitarre setzte ein, das kleine, unsichtbare Orchester setzte ein, die Tänzer hatten einander erreicht, schon berührten sich ihre Gewänder, schon waren ihre Gesichter einander ganz nahe. Da, plötzlich, mitten im Takt, verstummte die Musik, verstummten die Kastagnetten, die Tänzer standen starr, angewurzelt. Die Pause dauerte wenige Sekunden, sie schien endlos.
Dann setzte die Guitarre von neuem ein, ein Zittern lief über den Leib des Mädchens, langsam löste sie sich aus ihrer Starre, sie wich zurück, dann wieder vor. Nun bewegte auch er sich. Feuriger flog er ihr entgegen. Langsamer jetzt, doch zärtlicher schwebte sie auf ihn zu. Beider Bewegungen wurden heftiger, ihre Blicke auffordernder, jeder Muskel zitterte vor Leidenschaft. Nun, mit geschlossenen Augen, kamen sie einander entgegen. Doch wieder, im letzten Augenblick, zuckten sie zurück. Und wieder eine jener wilden, erregenden, zuchtlosen Pausen.
Dann aber wichen sie beide zurück, sie verschwanden in den Kulissen, und jetzt, sogleich, die Zuschauer wußten es, wird jene Szene beginnen, welche Andalusien dem Fandango zugefügt hat, jenes Solo, wohl von Zigeunern stammend und aus dem frühesten Orient, jener Einzeltanz, welcher die Serafina und vor ihr so manche andere Tänzerin durchs ganze Reich berühmt gemacht hat.
Da kommt sie schon hervor aus ihrer Kulisse, allein dieses Mal und ohne Kastagnetten. Hinter der Szene aber ertönt ein rhythmisches, monotones Stampfen und Händeklatschen, und eine einsame, dunkle Stimme singt einen banalen, ewig tiefen Text:
Darum laßt uns
Tauchen in den
Tiefen Schoß der
Liebe; denn wir
Leben nur so
Kurze Zeit auf
Dieser Erde,
Und wir sind so
Lange tot.
Bald verlieren sich auch die Worte ins nicht mehr Erkennbare, und was die einsame Stimme singt, ist nur mehr ein rhythmisches, eintöniges, beinahe klagendes Aahh und Aaii, langsam, doch wild und heftig. Und langsam, wild und heftigist auch der Tanz des Mädchens, immer gleich und immer anders, ein ruhiger, wütiger Tanz, ein Tanz des ganzen Körpers; sichtlich führt sich die Tänzerin ihrem Liebhaber vor, zeigt ihm, was alles an Wollust, Süße, Wildheit ihr Körper hergeben kann.
Still sitzen die Zuschauer. Das eintönige, wilde Gestampfe geht ihnen in die Glieder, aber sie regen sich nicht, sie sind erstarrt im Schauen. Es geschieht nichts Unzüchtiges auf der Bühne, keine Nacktheit ist da, doch vorgeführt wird in tiefer Unschuld und in allen Einzelheiten die natürlichste aller Begierden, fleischliche Sehnsucht, und sie ist aufgelöst in Rhythmus.
Die Zuschauer haben diesen Tanz manches Mal gesehen, doch nie so vollendet. Mit Bewunderung und Sachkenntnis schauen der gelehrte Miguel und der belesene Martínez auf die mühevoll und kunstvoll sich abarbeitende Serafina. Frauen wie diese müssen es gewesen sein, welche die Römer aus dem lasterhaften Gades ausführten in ihre Stadt, damit sich dort Senatoren und Bankiers, erfahren in allen Lüsten, an ihrem Tanze ergötzten. Frauen wie diese müssen es gewesen sein, welche die frühen Kirchenväter voll heiligen Zornes mit der tanzenden Tochter der Herodias verglichen, und sicher hat die Tradition recht, die behauptet, die Tänzerin Telethusa aus Gades habe dem Bildhauer Modell gestanden, der die Venus Kallipygos schuf.
Die Serafina tanzte, hingegeben, leeren Gesichtes, voll hoher Kunst, voll angeborener und erlernter wütiger Wollust. Das monotone Gestampfe und Gesinge wurde wilder. Und nun fielen die Zuschauer ein. Sie
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