Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
wann ich will.Ich singe für Leute, die für mich Verständnis haben, nicht für diese Granden. Ich bin selber einer, aber was ist das für eine Gesellschaft! Wir sind beide leicht entzündlich, Francisco, Sie und ich: aber möchten Sie von den Frauen hier viele im Bett haben? Ich keine fünfe. Diese kleine Geneviève ist ja ganz niedlich, aber ein Kind, und ich bin noch nicht alt genug, daß mir Kinder Spaß machten. Übrigens, ich kann es auch ohne unsere liebenswürdige Wirtin aushalten. Sie ist mir zu kompliziert, zu kapriziös, zu prätentiös. Sie verlangt, daß man sich Wochen und Monate um sie bewirbt. Das ist nichts für Don Manuel. Ich mag keine langen Ouvertüren, ich hab es gern, wenn der Vorhang gleich aufgeht.«
Goya hörte zu mit dumpfer, bitterer Zustimmung. Don Manuel hatte recht, die Frau war nichts als eine verspielte, hochmütige Puppe. Er hatte genug von ihr, er wird sie ausreißen aus seinem Innern. Solange die Majestäten noch da waren, mußte er wohl bleiben. Aber unmittelbar nach ihrem Abgang wird auch er gehen, und die Alba und ihr Schloß Buenavista, das verrückt war wie sie selber, werden für immer hinter ihm versinken.
Vorläufig gesellte er sich zu einer Gruppe um die beiden Damen, die in dem Trio mitgewirkt hatten. Man sprach über Musik, und Doktor Peral, der Arzt, mit seiner ruhigen, nicht lauten, doch weithin vernehmbaren Stimme ließ sich sachverständig aus über das Baryton, dieses Instrument, das leider mehr und mehr aus der Mode kam, und über Señor José Haydn, den österreichischen Komponisten, der sehr viel für dieses Instrument geschrieben hatte. »Hören Sie, Doktor«, erklang die Stimme Doña Cayetanas, »gibt es eigentlich irgend etwas, worüber Sie nicht Bescheid wissen?«
Die etwas harte Stimme der Alba war leicht spöttisch, doch hörte Goya eine Zärtlichkeit heraus, eine Verbundenheit mit dem Arzt, die ihn rasend machte. Unvermittelt, mit mühsamer Ruhe, erzählte er eine Anekdote, wie sich ein junger Herr seiner Bekanntschaft in allen Salons durch ein einfaches Rezept den Ruhm höchster Gelehrsamkeit verschaffthabe. Dieser junge Herr wisse alles in allem drei gelehrte Fakten, aber er verstehe, sie überall anzubringen. Er zitiere einen Satz aus einem Werk des heiligen Hieronymus. Dann erzähle er gelegentlich, daß Virgil seinen Helden Äneas tränenselig und abergläubisch gemacht habe, nur um dem Kaiser Augustus zu schmeicheln, der die gleichen Eigenschaften gehabt habe. Dann spreche er von der besonderen Blutzusammensetzung des Dromedars. Durch kluge Verwertung dieser drei Daten habe sich der bewußte junge Herr den Ruf höchster Gelehrsamkeit erworben.
Ein kleines, erstauntes Schweigen war. Doktor Peral mit seiner gelassenen Stimme fragte halblaut den Abate: »Wer ist der dicke Herr?« Dann, mit einem kleinen, amüsierten Seufzer, meinte er: »Der Herr Hofmaler hat recht: Menschenwissen ist Stückwerk. In meinem Fach zum Beispiel weiß auch der Gelehrteste nur wenig mit Sicherheit. Es gibt da kaum vier- oder fünfhundert Tatsachen, die über allen Zweifeln feststehen. Was aber ein ernsthafter Mediziner alles nicht weiß und vorläufig auch nicht wissen kann, damit könnte man ganze Bibliotheken füllen.« Der Arzt hatte ohne Prätention gesprochen, mit der freundlichen Überlegenheit des Sachverständigen, der einen groben Ignoranten mühelos abführt.
Die Heftigkeit, mit welcher der Maler ihre Freunde anfiel, amüsierte die Alba. Sie wollte ihm zeigen, welche Macht über Männer sie hatte. Ohne Übergang, liebenswürdig, wandte sie sich an den Herzog von Alcudia. »Ich konnte es verstehen, Don Manuel«, sagte sie, »daß Sie es vorhin, in meinem Theaterchen, ablehnten zu singen. Aber hier ist keine anspruchsvolle Bühne, hier sind wir zwanglos zusammen. Singen Sie uns jetzt ein Lied, Don Manuel, machen Sie uns die Freude. Wir alle haben so viel von Ihrer Stimme gehört.« Don Carlos, während die andern gespannt und leicht geniert auf Don Manuel schauten, meinte: »Eine ausgezeichnete Idee. Jetzt wird’s gemütlich.« Don Manuel zögerte einen Augenblick lang: es war unklug, die Königin weiter zu reizen. Aber stellteer sich nicht, wenn er zurückwich, vor allen diesen Damen und Herren bloß? Er war kein Pantoffelheld. Er lächelte gnädig und geschmeichelt, verneigte sich vor der Alba, stellte sich in Positur. Räusperte sich. Sang.
Doña María Luisens kleine, schwarze Augen schauten böse, doch ertrug sie diese zweite Demütigung im Hause ihrer
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