Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Staates.
Alljährlich schrieb das Heilige Offizium einen Feiertag aus, um an ihm das sogenannte Glaubensedikt zu verkünden. In diesem Erlaß wurden diejenigen, die sich ketzerischer Neigungen schuldig fühlten, ermahnt, sich selber innerhalb einer Gnadenfrist von dreißig Tagen bei dem Heiligen Tribunal zu bezichtigen. Weiterhin wurden alle Gläubigen aufgefordert, jegliche Ketzerei anzuzeigen, von der sie erfahren hätten. Es wurde eine lange Liste verdächtiger Handlungen aufgezählt. Auf heimliche Ketzerei wiesen hin alle jüdischen Bräuche, das Anzünden von Kerzen am Freitagabend, das Wechseln der Wäsche zum Sabbat, das Nichtessen von Schweinefleisch, das Händewaschen vor jeder Mahlzeit. Auf ketzerische Neigungen hin wies die Lektüre fremdsprachlicher Bücher wie überhaupt häufiges Lesen profaner Werke. Kinder hatten ihre Eltern, Ehemann oder Ehefrau den Partner anzuzeigen, sowie sie Verdächtiges bemerkten, sonst verfielen sie der Exkommunikation.
Beklemmend war die Heimlichkeit, mit der das Tribunal vorging. Die Bezichtigung hatte heimlich zu erfolgen; schwerer Strafe schuldig machte sich, wer den Beschuldigten von der Anklage verständigte. Geringe Indizien genügten dem Gericht, um Verhaftung zu verfügen, und keiner wagte, nachdenen zu fragen, die in den Kerkern der Inquisition verschwanden. Anzeiger, Zeugen, Angeklagte wurden eidlich zum Schweigen verpflichtet, ein Verstoß gegen den Eid wurde ebenso bestraft wie die Ketzerei selber.
Leugnete der Inkriminierte oder beharrte er in seinem Irrtum, so wurde die Folter angewandt. Um die Bezahlung der Folterknechte zu sparen, forderte die Inquisition manchmal hohe Zivilbeamte auf, die gottgefällige Tätigkeit umsonst auszuüben. Wie alle Phasen der Prozedur vollzog sich die Folterung nach peinlich genauen Vorschriften, in Anwesenheit eines Arztes und eines Sekretärs, der jede Einzelheit protokollierte. Mit Nachdruck, durch die Jahrhunderte hindurch, betonten die geistlichen Richter, daß sie das widerwärtige Mittel der Folter aus Barmherzigkeit anwendeten, um nämlich den Verstockten von seiner Ketzerei zu befreien und ihn auf den Weg der wahren Erkenntnis zu führen.
Gestand und bereute der Beschuldigte, so wurde er dadurch »mit der Kirche ausgesöhnt«. Die Aussöhnung war verknüpft mit einer Buße; es wurde etwa der Auszusöhnende gegeißelt oder in öffentlicher Prozession im Schandkleid durch die Stadt geführt, oder er wurde den weltlichen Behörden überstellt zur Abbüßung einer drei- bis achtjährigen, manchmal auch lebenslänglichen Galeerenstrafe. Das Vermögen des Büßenden wurde konfisziert, zuweilen auch sein Haus zerstört; er und seine Nachfahren bis ins fünfte Geschlecht blieben unfähig, ein Amt zu bekleiden oder einen angesehenen Beruf auszuüben.
Das Heilige Tribunal hielt am Prinzip der Milde fest, selbst wenn der Ketzer nicht gestand oder nur ein teilweises Schuldbekenntnis ablegte. Die Kirche tötete den Sünder nicht; wohl aber stieß sie den hartnäckigen oder rückfälligen Verbrecher aus ihrer Gemeinschaft aus und übergab ihn den weltlichen Behörden. Auch diesen empfahl sie die Vermeidung des Richtschwertes, forderte sie aber auf zur Beherzigung des Schriftverses: »Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sieins Feuer, und sie müssen brennen.« Demzufolge verbrannte die weltliche Behörde die weggeworfenen Reben, die aus der Gemeinschaft Ausgestoßenen, und zwar lebendigen Leibes. Ging es um einen toten Ketzer, so wurde der Leichnam ausgegraben und verbrannt. Gestand der Ketzer noch nach der Verurteilung, so wurde er erdrosselt und nur seine Leiche verbrannt. War der Ketzer geflohen, so wurde er im Bilde verbrannt. Immer wurde sein Vermögen konfisziert; einen Teil der verfallenen Güter erhielt der Staat, einen Teil die Inquisition.
Die Inquisition war sehr wohlhabend, Freisprüche erfolgten selten. Die Gesamtzahl derjenigen, die von der Inquisition in Spanien seit deren Bestehen bis zur Krönung Carlos’ IV. verbrannt oder mit schwerster Strafe belegt wurden, betrug 348 907.
So geheim das Verfahren der Inquisition war, mit so pomphafter Öffentlichkeit wurden ihre Urteile verkündigt und vollzogen. Verkündung und Vollziehung des Urteils wurde »Glaubensakt« genannt, »Glaubenskundgebung, Glaubensmanifest, Auto de Fe«. Daran teilzunehmen galt als gottgefällige Handlung. Prächtige Prozessionen zogen auf, feierlich wurde die Standarte der
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