Grab im Wald
sein.
Muse und ich verteilten sämtliche Papiere auf dem Fußboden – Zeugenaussagen, Polizeiberichte, die Telefonlisten und sämtliche Rechnungen der Verbindung und ihrer Mitglieder. Wir fingen mit den Rechnungen an – das war ein Riesenberg – und begutachteten jede Handyrechnung, jede Bierlieferung und jede Onlinebestellung.
»Und«, fragte Muse, »wonach suchen wir eigentlich?«
»Was weiß denn ich.«
»Ich dachte, Sie haben was?«
»Das ist nur so ein Gefühl.«
»Oh, würg. Jetzt erzählen Sie mir nicht, dass Sie eine Intuition haben.«
»So würde ich das nicht ausdrücken«, sagte ich.
Wir guckten weiter.
»Also«, sagte sie, »suchen wir sozusagen nach einem großen Aufkleber, auf dem steht: ›Wichtiger Hinweis‹?«
»Wir suchen«, sagte ich, »nach einem Katalysator.«
»Tolles Wort. Wofür?«
»Ich weiß es nicht, Muse. Aber die Antwort liegt hier vor uns. Ich spüre es.«
»Oooookay«, sagte sie, und es gelang ihr, nicht mit den Augen zu rollen.
Also suchten wir weiter. Die Verbindung hatte fast jeden Abend Pizza bestellt, meistens acht Familienpizzen von Pizza-To-Go, was direkt von der Kreditkarte abgebucht wurde. Sie war Mitglied bei Netflix, wo sie normale DVDs ausleihen konnten, von denen jeweils drei per Post geliefert wurden, und auch bei HotFlixxx, was im Prinzip genauso funktionierte, außer dass die Pornos verliehen. Sie hatten sich Golfshirts mit dem Verbindungsabzeichen bestellt, und das Verbindungsabzeichen auch in Golfbälle prägen lassen, die sie in Unmengen bestellt hatten.
Muse und ich versuchten, die Rechnungen irgendwie zu ordnen. Warum, weiß ich nicht.
Ich zeigte Muse die HotFlixxx-Rechnung. »Ziemlich billig«, sagte ich.
»Das Internet macht Pornos leicht zugänglich und für die Massen bezahlbar.«
»Gut zu wissen«, sagte ich.
»Aber vielleicht erwischen wir sie über diese Schiene«, sagte Muse.
»Was?«
»Junge Burschen, heiße Frauen. Oder in diesem Fall, eine heiße Frau.«
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte ich.
»Ich will jemand von außen mit reinholen.«
»Wen?«
»Cingle Shaker. Eine Privatdetektivin. Haben Sie von ihr gehört?«
Ich nickte. Hatte ich.
»Vergessen Sie’s«, sagte sie. »Haben Sie sie schon mal gesehen?«
»Nein.«
»Aber Sie haben von ihr gehört.«
»Ja«, sagte ich. »Ich habe von ihr gehört.«
»Also, egal was Sie gehört haben, es ist nicht übertrieben. Ihr
Körper bringt nicht nur den Verkehr zum Stillstand, da wird gleich die Straße mitsamt den Leitplanken aufgerissen. Außerdem ist sie sehr gut. Wenn irgendjemand Burschenschaftler aus der Reserve locken kann, die sich hinter Anwälten verschanzt haben, ist es Cingle.«
»Genehmigt«, sagte ich.
Ein paar Stunden später – ich kann nicht einmal sagen, wie viele – stand Muse auf. »Hier gibt’s nichts, Cope.«
»Sieht wohl so aus, was?«
»Dieses Briefing mit Chamique, ist das gleich morgen früh?«
»Ja.«
Sie reckte sich. »Vielleicht sollten Sie sich dann lieber darauf vorbereiten.«
Ich salutierte spöttisch. Ich hatte mit Chamique schon über ihre Aussage gesprochen, wenn auch nicht so detailliert, wie man vielleicht denken sollte. Sie sollte natürlich wirken und nicht einstudiert klingen. Darauf hatte ich meine Strategie aufgebaut.
»Ich tu, was ich kann«, sagte Muse.
In bester »Wir schaffen das schon«-Manier stapfte sie aus der Tür.
Estelle machte uns Abendessen – Spaghetti mit Fleischklößchen. Estelle war keine gute Köchin, aber man kriegte es runter. Hinterher fuhr ich mit Cara bei Van Dyke’s ein Eis essen. Zur Belohnung. Cara war jetzt sehr viel gesprächiger. Ich betrachtete sie im Rückspiegel, wie sie im Kindersitz angeschnallt saß. Als ich klein war, durften wir noch vorne sitzen. Jetzt musste man fast schon so alt sein, dass man Alkohol trinken durfte, bis das erlaubt war.
Ich versuchte zuzuhören, was sie erzählte, aber Cara plapperte einfach nur Unsinn vor sich hin, wie Kinder das häufig machen. Offenbar war Brittany gemein zu Morgan gewesen, also hatte Kylie ein Radiergummi geworfen, und wieso hat Kylie, nicht
Kylie G, sondern Kylie N – sie hatten zwei Kylie in der Klasse –, wieso wollte Kylie N in der Pause nicht auf die Schaukel, wenn Kiera nicht auch eine hatte? Wieder sah ich ihr lebhaftes Gesicht an, das einen leicht zerknirschten Ausdruck angenommen hatte, als ob sie einen Erwachsenen nachahmen wollte. Überwältigende Gefühle überkamen mich. Einfach so. Das passiert Eltern
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