Grabesdunkel
die Leiterin verfügte über die Fachkenntnisse und wusste, was vor Gericht Bestand haben würde.
Der Chef war der Meinung gewesen, sie ins kalte Wasser werfen zu müssen. Deshalb war ihr die Verantwortung für diesen Mordfall übertragen worden. Es war die erste Ermittlung, die sie allein leitete, seit sie in der Abteilung für Gewalt- und Sittlichkeitsverbrechen angefangen hatte. Davor hatte sie als Staatsanwältin in einer kleineren Polizeidienststelle gearbeitet.
Ihr Abteilungsleiter saà zurückgelehnt auf seinem Platz, um zu sehen, ob sie sich bewähren würde. So machten sie es am liebsten â eine Feuertaufe, eine Art Einweihungsritual. Am Anfang hatte es leicht ausgesehen. Schon am Dienstagabend hatten sie den Professor zu einer Vernehmung einbestellt. Doch Professor Kato Zetterstrøms Anwalt, Martin Tollefsen, hatte das Ermittlerteam eingeschüchtert und verunsichert. Es bestand ein begründeter Verdacht, es ging um Mord, und der Professor hatte ein Verhältnis mit Helle Isaksen gehabt. Trotzdem hatten sie bis zum nächsten Tag damit gewartet, von ihm eine DNA-Probe zu verlangen. Kikki wusste nicht, ob das Rechtsmedizinische Institut schnell gearbeitet hatte oder nicht, das Ergebnis war auf jeden Fall erst am heutigen Freitag gekommen. Die minimalen Spermaspuren, die man in Helle Isaksens Vagina gefunden hatte, stammten von ihm.
Sie hatte die Erleichterung wie einen brodelnden Rausch im Körper gespürt, als hätte sie schwankend an einem Abgrund gestanden und plötzlich die Kontrolle über die Situation wiedererlangt. Genau genommen waren an dem Opfer DNA-Spuren mehrerer Personen gefunden worden, doch sie war in statistischer Diskriminierung bereits gut geschult: Ein aussortierter Liebhaber hatte denkbar schlechte Karten.
Sie dachte an Joakim. Trotz ihrer unschönen Trennung empfand sie noch immer viel für ihn. Leider. Bisweilen schloss sie beim Sex mit Peder die Augen und dachte an Joakim. Obwohl Peder älter war, glichen sie sich. Beide waren groà und blond. Doch während Peder sanfte und gütige Augen hatte, waren Joakims ganz anders: graublau und stechend. Es war riskant, so eng mit einem Kriminalreporter befreundet zu sein. Deshalb hatte sie ihren Chef über ihre Bekanntschaft mit Joakim Lund Jarner von Nyhetsavisen informiert.
Rechtsanwalt Martin Tollefsen war heute Nachmittag weitaus kooperativer gewesen. Der Professor war verzweifelt, aber willig zur Zusammenarbeit, als sie ihn zu einer erneuten Vernehmung bestellt hatten. Diesmal gab er zu, gelogen zu haben. In Wirklichkeit habe Helle Isaksen ihn am vergangenen Freitag in der Handelshochschule aufgesucht, erzählte er. Sie habe ihn gebeten, zu ihr zu kommen, da sie Angst hatte. Allerdings habe sie nicht sagen wollen, wovor. Dann hatten sie vereinbart, dass er Sonntagmorgen vor seiner festen Joggingrunde im Wald bei ihr vorbeischauen solle. Er war aufgetaucht, und sie hatten sich geliebt. Sie hatte noch immer nicht sagen wollen, was sie quälte, und eine Stunde später war Kato Zetterstrøm joggen gegangen.
Er hätte Helle niemals etwas angetan, versicherte der Professor, nie im Leben.
Der Ermittler aus Kristine Rosenbergs Team, der die Vernehmung leitete, hatte nur steif gelächelt. »Sie sind fertig, Zetterstrøm. Das wissen Sie, oder?«
Jetzt saà Zetterstrøm in einer U-Haft-Zelle im Hinterhof des Präsidiums, einem dieser winzigen Betonräume, die an die Verliese früherer Zeiten erinnerten. Der Unterschied bestand darin, dass die schmutzigen schwarzen Gefängniswände heutzutage sauber und hellgelb waren. Die Dunkelheit war von einem durchdringenden, scharfen Licht abgelöst worden. Doch der Geruch von Angst und Verzweiflung war der gleiche.
Diese Zellen hatten den günstigen Effekt, dass sie die Leute mürbe machten. Die Zeit arbeitet für uns, dachte Kristine Rosenberg, während sie den Ermittlern zuhörte, die vor dem Wochenende die Fakten noch einmal zusammenfassten. Es ärgerte sie, dass sie nicht sie ansahen, wenn sie redeten, sondern ihre Kollegen. Das war ein Zeichen mangelnden Respekts und sollte auch so verstanden werden. Aber das spielt keine Rolle, dachte sie, wenn sie den Fall nur aufklärten. Diesen Test musste sie bestehen.
Kapitel 27
Agnesâ Wohnung war klein, wirkte aber freundlich mit dem hellen HolzfuÃboden und den weiÃen Wänden. Sie hatte beim Einzug das Birkenparkett, die weiÃe
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