Grabesdunkel
Agnes begnügte sich mit Schokolade. Sie aÃen fast schweigend. Es grauste ihnen vor der Arbeit, die vor ihnen lag.
Joakim verabredete sich mit Helle Isaksens Eltern für elf Uhr vormittags. Er nahm sich einen Dienstwagen und fuhr alleine zu ihnen hinaus. Er wollte sie informieren, nicht interviewen.
Die Isaksens wohnten in der obersten Etage eines Ziegelsteinblocks in Lambertseter. Berit Isaksen öffnete ihm die Tür und führte ihn ins Wohnzimmer.
»Also, ich weià nicht richtig, wie ich anfangen soll«, sagte Joakim. »Können Sie mir erzählen, wie es Helle kurz vor ihrem Tod gegangen ist?«
»Uns ist nichts Besonderes aufgefallen. Sie war immer sehr beschäftigt. Hatte nur selten Zeit, uns zu besuchen. Das Studium hat sie sehr in Anspruch genommen«, sagte der Vater.
»Und sie war viel mit Ester zusammen«, warf die Mutter ein.
Sie stand auf und holte ein gerahmtes Foto aus dem Regal. Es zeigte Helle und Ester, beide lächelten. Das Bild war in einem Lokal aufgenommen. Sie hatten sich schick gemacht, beide trugen Seidenschals und groÃe Ohrringe.
»Dürfen wir uns das ausleihen?«, fragte Joakim.
Die Mutter nickte, und Joakim steckte das Bild in die Tasche. Dann nahm er Anlauf. Er musste ins kalte Wasser springen. Es wurde nicht leichter dadurch, dass er sich erst eine Stunde mit ihnen über harmlose Dinge unterhielt.
»Wir haben Grund zu der Annahme, dass Helle als Prostituierte gearbeitet hat«, sagte Joakim leise. Vor allem das Wort Prostituierte war kaum mehr als ein Flüstern.
Joakim sah auf die Tischplatte hinunter und registrierte aus dem Augenwinkel, wie der Vater aufstand und auf die Eingangstür zeigte.
»Ich glaube, es ist besser, Sie gehen jetzt«, sagte er mit vor Wut zitternder Stimme.
Joakim sah zu Helles Mutter. Zuerst schien sie wie erstarrt. Als ihr Mann sich drohend zu Joakim vorbeugte, legte sie ihm die Hand auf den Arm und hielt ihn sanft zurück.
»Nicht, Ivar.«
Er setzte sich wieder aufs Sofa. Seine Frau drehte sich zu ihm hin.
»Hast du nie darüber nachgedacht, wie sie sich wohl ihren luxuriösen Lebensstil leisten konnte? Wir haben sie doch nur wenig unterstützt, es reichte kaum, um das Studium zu finanzieren. Sie musste ja unbedingt auf eine teure Privatuni gehen.«
Der Vater hatte das Gesicht in den Händen vergraben, während die Mutter fortfuhr, jetzt an Joakim gewandt. »Anfangs habe ich mir keine groÃen Gedanken gemacht. Sie hatte immer eine Erklärung. Helle hat gesagt, dass die Wohnung in der Jacob Aalls gate in Majorstua Esters Eltern gehört und dass sie nicht viel Miete zahlen muss. Wenn es um die Kleider ging, die sie trug, hat sie behauptet, dass sie geliehen waren oder dass sie sie von Freunden geschenkt bekommen hat. Aber solche Kleider bekommt man nicht einfach so. Sie hatte immer neue Sachen, schicke Kleider aus schönen Stoffen. Teure Marken, ich wusste nicht einmal, dass man solche Kleider in Norwegen kaufen kann.«
Berit zog ein Taschentuch heraus.
»Die Jungs sind ihr schon immer hinterhergelaufen ⦠in gewisser Weise kannte sie keine ⦠Grenzen. Schon seit sie ganz klein war, wollte sie immer die kürzesten Röcke und den tiefsten Ausschnitt.«
Joakim nickte. Er fragte sich, ob Helles Mutter von den Ãbergriffen des GroÃvaters wusste. Die dürften vieles erklären. Joakim hatte nicht vor, den Eltern davon zu erzählen. Wenn sie nichts wussten, brauchten sie nicht noch eine schlechte Nachricht. Das war Helle Isaksens Geheimnis.
»Ich bin nur gekommen, um Sie zu informieren. Ihre Tochter gehörte einem exklusiven Prostituiertenring an. Wir werden morgen darüber in der Zeitung berichten. Wenn Sie wollen, schicke ich Ihnen heute Abend die Artikel, sodass Sie auf das, was kommt, vorbereitet sind.«
Berit Isaksen schüttelte abwehrend den Kopf. »Nein, lassen wir es kommen, wie es kommt. Danke, dass Sie uns informiert haben, aber ich denke, Sie sollten jetzt gehen.«
Joakim nickte und stand auf. Niemand begleitete ihn hinaus.
Joakim hatte Schwierigkeiten, die Hände am Steuer zu halten, als er zurück in die Redaktion fuhr. Nach den Schlägen der vergangenen Nacht tat ihm der Brustkorb weh. Sein Finger schmerzte noch immer von der Gartenschere. Es war so schlimm, dass er an einer Bushaltestelle anhalten musste, um durchzuatmen. Als er sich wieder erholt hatte, wählte er Kikkis Nummer.
»Gibt es
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