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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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einem Blick als Cop und wechselten nahtlos das Thema –, bestellte einen heißen Whiskey und nahm Platz. Der Barmann knallte den Drink vor mir auf die Theke und widmete sich wieder den Wettseiten, ohne das Wechselgeld rauszurücken. Ich trank einen kräftigen Schluck, der mir den Gaumen verbrannte, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
    Die windigen Typen in der Ecke sprachen jetzt über die Freundin von irgendwem und aßen dabei getoastete Sandwiches. Von dem salzigen, künstlichen Geruch wurde mir übel. Draußen vor dem Fenster pladderte der Regen aus einer Dachrinne.
    So seltsam es sich vielleicht anhört, aber erst im Zeugenstand, als ich die Panik in MacSharrys Augen auflodern sah, war mir so richtig bewusst geworden, dass ich allmählich zusammenbrach. Ich wusste, dass ich weniger schlief als sonst und mehr trank, dass ich reizbar und zerfahren war und mir möglicherweise Dinge einbildete, aber es hatte keinen bestimmten Vorfall gegeben, der für sich allein betrachtet besonders bedenklich oder alarmierend gewesen wäre. Erst jetzt baute sich das ganze Muster vor mir auf und stürzte mit greller Deutlichkeit auf mich ein.
    Meine sämtlichen Instinkte schrien, ich sollte diesen schrecklichen, heimtückischen Fall abgeben und sehen, dass ich möglichst weit wegkam. Mir stand noch jede Menge Urlaub zu, ich könnte meine Ersparnisse angreifen und ein paar Wochen in Paris oder Florenz leben, über Kopfsteinpflaster schlendern und den lieben langen Tag friedlich einer Sprache lauschen, die ich nicht verstand, und erst zurückkommen, wenn die ganze Sache vorbei war. Doch das war, wie mir mit trübseliger Gewissheit klar wurde, unmöglich. Für einen Ausstieg aus den Ermittlungen war es zu spät. Nach wochenlanger Arbeit an dem Fall konnte ich O'Kelly schlecht verklickern, mir wäre plötzlich wieder eingefallen, dass ich Adam Ryan war, und jede andere Ausrede wäre für ihn nur ein Indiz dafür, dass ich die Nerven verloren hatte, was das Ende meiner Karriere bedeuten würde. Ich wusste, ich musste irgendwas tun, ehe auffiel, dass ich zusammenklappte, und die Männer in den weißen Kitteln kamen, um mich abzuholen, aber mir fiel ums Verrecken nichts ein.
    Ich trank meinen heißen Whiskey aus und bestellte noch einen. Der Barmann schaltete Billard im Fernsehen ein; das leise Gemurmel des Kommentators verschmolz beruhigend mit dem Regen. Die drei Typen standen auf und gingen, knallten die Tür hinter sich zu, und ich hörte derbes Gelächter von draußen. Schließlich räumte der Barmann ostentativ mein Glas weg, und ich kapierte, dass ich gehen sollte.
    Ich ging zur Toilette und spritzte mir Wasser ins Gesicht. In dem grünlichen, schmutzbesprenkelten Spiegel sah ich aus wie aus einem Zombiefilm – offener Mund, große dunkle Säcke unter den Augen, Haare in spitzen Büscheln abstehend. Das ist doch lächerlich, dachte ich mit einem furchtbaren Anflug von distanziertem Erstaunen. Wie konnte das passieren? Wie um Himmels willen bin ich hier gelandet?

    Ich ging zurück zum Parkplatz des Gerichts, setzte mich ins Auto, lutschte Polo Mints und schaute den Leuten zu, die mit gesenktem Kopf vorbeihasteten, den Mantel eng um den Körper gezogen. Es war dunkel wie am Abend, der Regen fiel schräg durch das Licht von Autoscheinwerfern, die Straßenlaternen brannten bereits. Schließlich piepste mein Handy. Cassie: Was ist los? Wo steckst du? Ich simste zurück, im Wagen, und schaltete das Licht an, damit sie mich schneller finden konnte. Als sie mich auf dem Beifahrersitz sah, stutzte sie kurz und lief dann auf die andere Seite.
    »Mann, Mann, Mann«, sagte sie, als sie hinters Lenkrad rutschte und sich den Regen aus den Haaren schüttelte. Ein Tropfen hatte sich in ihren Wimpern verfangen, und eine schwarze Mascaraträne tropfte auf ihre Wange. »Ich hatte vergessen, was die zwei für primitive Arschlöcher sind. Die haben gekichert, als ich erzählt hab, dass sie auf ihr Bett gepinkelt haben. Ihr Anwalt hat Grimassen gemacht, dass sie aufhören sollen. Was ist denn mit dir los? Wieso soll ich fahren?«
    »Ich hab Migräne«, sagte ich. Cassie klappte die Sonnenblende runter, um ihr Make-up zu überprüfen, aber ihre Hand hielt inne, und ihre Augen, rund und besorgt, blickten mich im Schminkspiegel an. »Ich glaub, ich hab’s vermurkst, Cass.«
    Sie hätte es ohnehin erfahren. MacSharry würde bei der ersten Gelegenheit O'Kelly anrufen, und dann wüsste es bald das gesamte Dezernat. Ich war so müde, dass

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