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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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erstickte zu kurzen, wilden Entladungen, die bedrohlicher waren als Gebrüll. »Runter«, zischte Peter, und wir warfen uns flach auf die Erde. Wurzeln und dürre Zweige verhakten sich an unseren Sachen, und mir kochten die Füße in den Turnschuhen. Ein heißer Tag, heiß und still, der Himmel strahlend blau zwischen den Ästen. Wir robbten uns in Zeitlupe durchs Unterholz: Sand in meinem Mund, schräge Sonnenstrahlen, der störende, hartnäckige Tanz einer Fliege laut wie eine Kettensäge an meinem Ohr. Bienen an den wilden Brombeeren einige Schritte entfernt, und Schweißperlen auf meinem Rücken. Peters Ellbogen, der sich in der Ecke meines Blickfeldes vorwärtsschob, geräuschlos wie eine Katze; Jamies rasches Blinzeln hinter einem fedrigen Büschel Gras.
    Auf der Lichtung waren zu viele Leute. Megadeth drückte Sandra die Arme nach unten auf die Erde, Sonnenbrille hielt sie an den Beinen fest, und Anthrax lag auf ihr drauf. Ihr Rock war bis zur Taille hochgeschoben, und ihre Strumpfhose hatte riesige Laufmaschen. Ihr Mund hinter Anthrax’ auf und ab pumpender Schulter war eine starre, weite, schwarze Öffnung, mit Strähnen von rotgoldenem Haar überzogen. Sie gab seltsame Laute von sich, als ob sie schreien wollte, aber stattdessen würgen musste. Megadeth schlug sie einmal, fest, und sie hörte auf.
    Wir rannten weg, ohne uns drum zu scheren, ob sie uns sehen konnten, und hörten das Gebrüll – »Verdammter Mist«, »Haut bloß ab!« – erst hinterher. Jamie und ich sahen Sandra am nächsten Tag, im Laden. Sie trug einen weiten Pullover und hatte dunkle Flecken unter den Augen. Wir wussten, dass sie uns gesehen hatte, aber wir blickten einander nicht an.

    Es war spät in der Nacht, aber ich wählte trotzdem Cassies Handynummer.
    »Alles in Ordnung?«, sagte sie, und ihre Stimme klang rau und schläfrig.
    »Mir geht’s gut. Ich hab was, Cass.«
    Sie gähnte. »Mannomann. Wehe, es lohnt sich nicht, du Spinner. Wie spät ist es?«
    »Ich weiß nicht. Hör mal. Irgendwann in dem Sommer damals haben Peter und Jamie und ich gesehen, wie Jonathan Devlin und seine Freunde ein Mädchen vergewaltigt haben.«
    Schweigen am anderen Ende. Dann sagte Cassie mit wacherer Stimme: »Bist du sicher? Vielleicht hast du das falsch interpre-«
    »Nein. Ich bin absolut sicher. Sie wollte schreien, und einer von ihnen hat sie geschlagen. Sie haben sie festgehalten.«
    »Haben sie euch gesehen?«
    »Ja. Ja. Wir sind weggerannt, und sie haben hinter uns hergerufen.«
    »Großer Gott«, sagte sie. Ich konnte förmlich spüren, wie sie allmählich begriff: ein vergewaltigtes kleines Mädchen, ein Vergewaltiger in der Familie, zwei verschwundene Zeugen. »Wahnsinn ... Gut gemacht, Ryan. Weißt du, wie das Mädchen hieß?«
    »Sandra Soundso.«
    »Die du schon mal erwähnt hast? Wir machen uns morgen dran, sie ausfindig zu machen.«
    »Cassie«, sagte ich, »wenn sich das bewahrheitet, wie erklären wir dann, woher wir von der Sache wissen?«
    »Rob, mach dir deswegen keine Gedanken, ja? Wenn wir Sandra finden, genügt sie uns als Zeugin. Und sonst setzen wir Devlin unter Druck, hauen ihm die Fakten um die Ohren, machen ihm Angst, bis er gesteht ... Wir finden schon einen Weg.«
    Es war fast zu viel für mich, ihr fragloses Vertrauen, dass ich mich nicht täuschte. Ich musste schwer schlucken, damit mir die Stimme nicht versagte. »Wie ist die Verjährungsfrist bei Vergewaltigung? Können wir ihn dafür drankriegen, auch wenn wir für die andere Sache nicht genug Beweise haben?«
    »Hab ich nicht im Kopf. Das klären wir morgen. Kannst du jetzt schlafen oder bist du zu aufgekratzt?«
    »Zu aufgekratzt«, sagte ich. Ich war so überdreht, als hätte man mir Brausepulver gespritzt. »Können wir noch ein bisschen reden?«
    »Klar«, sagte Cassie. Ich hörte, wie sie es sich im Bett bequemer machte, das Rascheln der Bettwäsche. Ich griff nach meiner Wodkaflasche und klemmte mir das Telefon unters Ohr, um mir ein Glas einzuschenken.
    Sie erzählte mir, wie sie einmal mit neun Jahren allen Kindern im Dorf erzählt hatte, in den Hügeln in der Nähe würde ein Zauberwolf leben. »Ich hab gesagt, ich hätte unter den Dielen in meinem Zimmer einen Brief gefunden, in dem stand, der Wolf wäre schon seit vierhundert Jahren dort und hätte eine Karte um den Hals gebunden, die uns zeigen würde, wo ein Schatz vergraben ist. Ich hab alle Kinder zusammengetrommelt – Mensch, war ich eine herrische Ziege –, und jedes Wochenende sind wir in

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