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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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ich fast träumte. Einen Augenblick lang gab ich mich versonnen der Illusion hin, ich hätte vom vielen Wodka einen Albtraum, aus dem ich erwachen würde, wenn mein Wecker klingelte, weil ich zu meinem Gerichtstermin musste.
    »Wie schlimm?«, fragte sie.
    »Ich hab die Sache ganz schön in den Sand gesetzt. Ich konnte nicht mal klar sehen, geschweige denn klar denken.« Das war immerhin die Wahrheit.
    Sie drehte sich langsam den Spiegel zurecht, leckte einen Finger an und rieb die Mascaraträne weg. »Ich meinte die Migräne. Willst du nach Hause?«
    Ich dachte sehnsüchtig an mein Bett, an Stunden ungestörten Schlafes, ehe Heather nach Hause kam und wissen wollte, ob ich endlich Klopapier besorgt hatte, aber der Gedanke nahm rasch bittere Züge an: Ich würde doch nur stocksteif daliegen, die Hände in die Laken gekrallt, und unentwegt über meinen missratenen Auftritt im Gerichtssaal nachgrübeln. »Nein. Ich hab meine Tabletten genommen, sobald ich aus dem Saal raus war. Ich hatte schon schlimmere Attacken.«
    »Soll ich zu einer Apotheke fahren, oder reichen die Tabletten noch?«
    »Sie reichen, aber es ist auch schon besser geworden. Fahren wir.« Ich war versucht, meinen erfundenen Migräneanfall noch ein wenig auszumalen, aber die hohe Kunst des Lügens liegt darin zu wissen, wann man aufhören muss, und die beherrschte ich schon immer ganz gut. Ich hatte und habe bis heute keine Ahnung, ob Cassie mir glaubte. Sie legte den Rückwärtsgang ein, setzte so schwungvoll aus der Parklücke, dass der Regen von den Scheibenwischern spritzte, und fädelte sich in den stockenden Verkehr ein.
    »Wie ist es bei dir gelaufen?«, fragte ich unvermittelt, als wir im Schritttempo an den Kais entlangfuhren.
    »Ganz gut. Ich glaube, die Verteidiger wollen die Geständnisse als erzwungen hinstellen, aber das kaufen die Geschworenen denen nicht ab.«
    »Gut«, sagte ich. »Das ist gut.«

    Mein Telefon klingelte hysterisch los, kaum dass wir den SOKO-Raum betraten. O'Kelly bestellte mich in sein Büro; MacSharry hatte keine Zeit verloren. Ich tischte ihm die Migränegeschichte auf. Das einzig Gute an Migräneanfällen ist, dass sie eine wunderbare Entschuldigung sind: Sie setzen dich schachmatt, sie sind nicht deine Schuld, sie können so lange dauern, wie du sie brauchst, und kein Mensch kann beweisen, dass du keine hast. Zumindest sah ich wirklich krank aus. O'Kelly machte ein paar spöttische Bemerkungen, aber ich nötigte ihm ein bisschen Respekt dadurch ab, dass ich tapfer darauf bestand, weiterzuarbeiten.
    Ich ging zurück in den SOKO-Raum. Sam kam gerade herein, bis auf die Haut durchnässt, und sein Tweedmantel roch leicht nach nassem Hund. »Wie ist es gelaufen?«, fragte er. Sein Ton klang beiläufig, aber seine Augen glitten über Cassies Schulter zu mir und dann rasch wieder weg: Er hatte es also schon gehört.
    »Gut. Migräne«, sagte Cassie und deutete mit einer Kopfbewegung auf mich. Inzwischen fühlte ich mich tatsächlich so, als hätte ich Migräne. Ich blinzelte, um klar sehen zu können.
    »Migräne ist’ne üble Sache«, sagte Sam. »Meine Mutter kriegt sie regelmäßig. Manchmal muss sie tagelang in einem abgedunkelten Zimmer liegen, mit einem Eisbeutel auf dem Kopf. Kannst du überhaupt arbeiten?«
    »Es geht schon«, sagte ich. »Wo hast du dich rumgetrieben?«
    Sam blickte Cassie an. »Er kommt schon klar«, sagte sie. »Von dem Prozess würde jeder Kopfschmerzen kriegen. Wo warst du?«
    Er schälte sich aus seinem tropfnassen Mantel, musterte ihn skeptisch und legte ihn über einen Stuhl. »Ich bin los, um mit den Großen Drei ein Pläuschchen zu halten.«
    »O'Kelly wird begeistert sein«, sagte ich. Ich setzte mich und massierte mir mit Mittelfinger und Daumen die Schläfen. »Sei vorsichtig. Der ist heute nicht gerade bester Stimmung.«
    »Nein, kein Problem. Ich hab ihnen gesagt, die Gegner der Schnellstraße hätten ein paar von deren Befürwortern ein bisschen schikaniert. Ich bin nicht konkret geworden, aber könnte gut sein, dass sie geglaubt haben, ich hätte Vandalismus gemeint. Und ich wolle mich nur vergewissern, dass bei ihnen alles in Ordnung ist.« Sam grinste, und mir wurde klar, dass er fast platzte vor Begeisterung über seinen Erfolg und sich nur im Zaum hielt, weil er wusste, wie mein Tag bisher gelaufen war. »Denen ist ganz schön die Düse gegangen, weil sie sich natürlich fragen, woher ich weiß, dass sie mit Knocknaree zu tun haben, aber ich hab so getan, als wäre es keine

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