Grabesgrün
dauern.
Mrs Fitzgerald wartete mit wachsamen Augen, bis wir beide einen Schluck Tee getrunken – er war so stark, dass sich mein Mund zusammenzog – und vom Gebäck gekostet hatten. Dann seufzte sie zufrieden und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. »Ich esse am liebsten die einfachen«, sagte sie. »Die mit Früchten bleiben mir immer in den Dritten stecken.«
»Mrs Fitzgerald«, sagte Cassie, »erinnern Sie sich noch an die beiden Kinder, die im Wald verschwunden sind, vor zirka zwanzig Jahren?« Es ärgerte mich plötzlich gewaltig, dass Cassie die Frage stellen musste, aber ich hätte es nicht fertiggebracht. Ich war abergläubischerweise überzeugt, ein Zittern in meiner Stimme würde mich verraten: Mrs Fitzgerald würde misstrauisch werden und mich genauer mustern und sich an das dritte Kind erinnern. Und dann würden wir wirklich den ganzen Tag nicht mehr von hier wegkommen.
»Aber natürlich erinnere ich mich«, sagte sie indigniert. »Eine schreckliche Geschichte. Sie waren wie vom Erdboden verschluckt, wurden nie gefunden. Keine richtige Beerdigung, nichts.«
»Was, glauben Sie, ist mit ihnen passiert?«, fragte Cassie plötzlich.
Ich hätte ihr am liebsten einen Tritt versetzt, weil ich das für Zeitverschwendung hielt, aber ich sah widerwillig ein, warum sie das gefragt hatte. Mrs Fitzgerald war wie eine weise alte Hexe, die aus einer verfallenen Hütte im Wald herausspäht, gerissen und wachsam. Irgendwie glaubte man fast, dass sie einem die Antwort auf alle Fragen geben konnte, wenn auch so kryptisch, dass sie kaum zu enträtseln wäre.
Sie blickte nachdenklich auf ihren Scone, nahm einen Bissen und tupfte sich die Lippen mit einer Papierserviette ab. Sie ließ uns warten, genoss die Spannung. »Irgendein Irrer hat die beiden in den Fluss geworfen«, sagte sie endlich. »Gott hab sie selig. Irgendein unglückseliger Teufel, der nie aus der Anstalt hätte entlassen werden dürfen.«
Ich merkte die ärgerliche automatische Reaktion meines Körpers: zitternde Hände, rasender Puls. Ich stellte meine Tasse ab. »Dann glauben Sie also, sie wurden ermordet«, sagte ich mit bewusst tiefer Stimme, um sie unter Kontrolle halten zu können.
»Natürlich, was denn sonst, junger Mann? Meine Mutter, möge sie in Frieden ruhen, lebte damals noch. Sie ist drei Jahre danach an der Grippe gestorben. Jedenfalls, sie hat immer gesagt, der Pooka hat sie geholt. Aber sie war auch furchtbar altmodisch, die Gute.« Der Pooka ist ein Kinderschreck aus der keltischen Mythologie, ein Nachkomme Pans und Vorfahre Pucks. Er hatte damals nicht auf Kiernans und McCabes Verdächtigenliste gestanden. »Nein, sie wurden in den Fluss geworfen, sonst hätte die Polizei die Leichen doch wohl gefunden. Manche Leute hier sagen, sie spuken noch immer im Wald herum, die armen kleinen Dinger. Theresa King von nebenan hat sie erst letztes Jahr gesehen, als sie die Wäsche hereingeholt hat.«
Auch damit hatte ich nicht gerechnet, obwohl es wahrscheinlich naheliegend war. Zwei Kinder verschwanden für immer im Wald, klar, dass sie Teil der Folklore von Knocknaree wurden. Ich glaube zwar nicht an Geister, aber die Vorstellung – kleine huschende Gestalten in der Dämmerung, wortlose Rufe – jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken, und gleichzeitig durchfuhr mich der empörte Gedanke: Wieso kriegt diese Nachbarin die beiden zu sehen, und ich nicht?
»Damals«, sagte ich, um das Gespräch wieder auf das Thema zu lenken, »haben Sie bei der Polizei ausgesagt, drei ungehobelte junge Männer hätten häufig am Waldrand herumgelungert.«
»Richtige Rowdys«, sagte Mrs Fitzgerald mit Leidenschaft. »Die haben auf den Boden gespuckt und Gott weiß was. Mein Vater sagte immer, Spucken ist ein sicheres Zeichen für schlechte Erziehung. Ha, aber aus zwei von denen ist doch noch was Anständiges geworden. Concepta Mills Sohn macht jetzt in Computern. Der ist weggezogen – nach Blackrock, ausgerechnet. Knocknaree war wohl nicht gut genug für ihn. Der junge Devlin, sicher, über den haben wir ja schon gesprochen. Er ist der Vater von der armen kleinen Katy, Gott hab sie selig. Ein netter Mann.«
»Und der dritte Junge?«, fragte ich. »Shane Walters?«
Sie spitzte die Lippen und nippte geziert an ihrem Tee. »Was aus dem geworden ist, das möchte ich lieber nicht sagen.«
»Aha ... er hat also nicht auf den Pfad der Tugend gefunden, was?«, sagte Cassie vertraulich. »Darf ich mir noch einen Scone nehmen,
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