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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Sache zunichte machen.«
    »Es würde mir nicht im Traum einfallen, zu ihr Kontakt aufzunehmen. Wie gesagt, ich bin nicht blöd.«
    »Gut. Ich bin froh, dass das klar ist. Aber ich muss Ihre Version der Geschichte hören.«
    »Und was dann? Blüht mir eine Anklage?«
    »Ich kann Ihnen nichts garantieren«, sagte ich. »Ich werde Sie aber ganz bestimmt nicht festnehmen. Die Entscheidung liegt nicht bei mir, ob Anklage erhoben wird – dafür ist die Staatsanwaltschaft zuständig –, falls das Opfer Anzeige erstattet, was ich bezweifle. Außerdem habe ich Sie nicht über Ihre Rechte belehrt, womit alles, was Sie sagen, vor Gericht ohnehin nicht zulässig wäre. Ich muss nur wissen, was passiert ist. Es liegt ganz bei Ihnen, Mr Devlin. Wie wichtig ist es Ihnen, dass ich Katys Mörder finde?«
    Jonathan ließ sich Zeit. Er blieb nach vorn gebeugt sitzen, die Hände gefaltet, und blickte mich lange misstrauisch an. Ich versuchte, vertrauenswürdig auszusehen und nicht zu blinzeln.
    »Wenn ich es Ihnen nur begreiflich machen könnte«, sagte er schließlich, fast zu sich selbst. Er wuchtete sich nervös aus dem Sessel und trat ans Fenster, lehnte sich gegen die Scheibe. Jedes Mal, wenn ich blinzelte, ragte seine Silhouette vor meinen Lidern auf, hob sich hell konturiert vor dem Fenster ab. »Haben Sie Freunde aus der Kindheit?«
    »Eigentlich nicht, nein.«
    »Keiner kennt einen so wie die Menschen, mit denen man aufwächst. Ich könnte Cathal oder Shane morgen über den Weg laufen, und sie wüssten noch immer mehr über mich als Margaret. Wir waren uns näher als die meisten Brüder. Keiner von uns hatte das, was man ein glückliches Elternhaus nennen würde: Shane kannte seinen Vater nicht, Cathals Vater war ein Herumtreiber, der sein Lebtag keine anständige Arbeit hatte, und meine Eltern hingen beide an der Flasche. Das soll aber keine Entschuldigung sein. Ich beschreibe nur, wie wir waren. Mit zehn haben wir Blutsbrüderschaft geschlossen – haben Sie das schon mal gemacht? Die Handgelenke aufritzen und gegeneinanderpressen?«
    »Ich glaube nicht«, sagte ich. Ich fragte mich flüchtig, ob wir das getan hatten. Es wäre uns zuzutrauen gewesen.
    »Shane hatte erst zu viel Angst, sich selbst zu schneiden, aber Cathal hat ihn beschwatzt. Cathal hätte sogar den Eskimos Kühlschränke verkaufen können.« Er lächelte, ein wenig. »Als wir Die drei Musketiere im Fernsehen gesehen haben, meinte Cathal, wir sollten ihr Motto übernehmen: Einer für alle, alle für einen. Wir könnten uns nur aufeinander verlassen, meinte er, sonst wäre ja keiner auf unserer Seite. Und er hatte recht.« Er wandte den Kopf in meine Richtung, ein kurzer, abschätzender Blick. »Wie alt sind Sie – dreißig, fünfunddreißig?«
    Ich nickte.
    »Da ist Ihnen die schlimmste Zeit erspart geblieben. Als wir mit der Schule fertig waren, Anfang der 80er, war das Land am Boden. Es gab keine Jobs, nichts. Wer nicht in Daddys Firma einsteigen konnte, ist ausgewandert oder stempeln gegangen. Selbst wer das Geld hatte und sich ein Studium leisten konnte – wir gehörten nicht dazu –, hat das Elend nur um ein paar Jahre hinausgeschoben. Wir waren zum Herumlungern verdammt, es gab nichts, worauf wir uns freuen konnten, kein Ziel. Wir hatten nur uns. Sie können sich nicht vorstellen, wie prägend so etwas ist. Wie gefährlich.«
    Ich war mir nicht sicher, was ich von der Richtung halten sollte, in die er driftete, aber ich spürte auf einmal einen unangenehmen Stich von Neid. In der Schule hatte ich mir solche Freundschaften gewünscht: die unverbrüchliche Nähe von Soldaten in der Schlacht oder von Kriegsgefangenen, das Mysterium, das nur Männern in Extremsituationen zugänglich ist.
    Jonathan holte Luft. »Wie auch immer. Dann war Cathal irgendwann mit diesem Mädchen zusammen – Sandra. Am Anfang war das irgendwie komisch: Wir hatten zwar alle schon mal was mit Mädchen gehabt, aber keiner von uns hatte bis dahin eine feste Freundin. Aber Sandra war nett, wirklich. Lachte viel und hatte so was Unschuldiges an sich – ich glaube, sie war auch meine erste Liebe ... Als Cathal sagte, sie würde auf mich stehen, würde gern mal mit mir, konnte ich mein Glück nicht fassen.«
    »Fanden Sie das, wie soll ich sagen, nicht zumindest etwas seltsam?«
    »Eigentlich nicht. Heute klingt es verrückt, ja, aber wir hatten ja immer schon alles geteilt. Das war eine Regel bei uns. Deshalb fanden wir nichts dabei. Ich hatte etwa zur selben Zeit auch

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