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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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mir auf den Rücken, mit einer schnellen, gekonnten Bewegung. Ich schnappte nach Luft.
    »Bist du verrückt geworden?«, sagte sie an meinem Ohr, leise und wütend. »Er weiß überhaupt nichts .«
    Die Worte trafen mich wie ein Eimer kaltes Wasser ins Gesicht. Ich wusste, selbst wenn sie sich täuschte, konnte ich rein gar nichts tun, und ich war nur noch atemlos, hilflos.
    Cassie spürte, wie mein Widerstand nachließ. Sie stieß mich weg und trat flink zurück, die Hände noch immer bereit. Wir starrten einander wie Feinde an, beide schwer atmend.
    Etwas Dunkles breitete sich auf ihrer Lippe aus, und ich sah, dass es Blut war. Eine schreckliche, taumelnde Sekunde lang dachte ich, ich hätte sie geschlagen. (Später stellte sich heraus, dass ihr Handgelenk, als ich mich losriss, gegen ihren Mund zurückgeschnellt war, aber das machte es natürlich nicht besser.) Es brachte mich wieder zur Besinnung, ein wenig. »Cassie –«, sagte ich.
    Sie ignorierte mich. »Mr Devlin«, sagte sie ganz ruhig, als wäre nicht das Geringste passiert. Nur in ihrer Stimme lag ein ganz leichtes Zittern. Jonathan, den ich völlig vergessen hatte, kam langsam aus der Ecke, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Sie können gehen. Aber ich rate Ihnen dringend, jederzeit für uns erreichbar zu sein und keinerlei Kontakt zu Ihrem Vergewaltigungsopfer aufzunehmen. Klar?«
    »Ja«, sagte Devlin nach kurzem Zögern. »Klar.« Er stellte den umgekippten Stuhl hin, nahm seinen zerknitterten Mantel von der Rückenlehne und zog ihn sich mit raschen, wütenden Bewegungen an. An der Tür drehte er sich um und blickte mich durchbohrend an, und einen Moment lang dachte ich, er wollte etwas sagen, doch er schüttelte nur angewidert den Kopf und ging. Cassie folgte ihm nach draußen und warf die Tür mit Schwung hinter sich zu, doch da sie zu schwer war, um richtig zuzuknallen, fiel sie nur mit einem unbefriedigenden dumpfen Schlag ins Schloss.
    Ich ließ mich auf einen Stuhl sinken und barg das Gesicht in den Händen. So etwas hatte ich noch nie getan. Ich verabscheue körperliche Gewalt, schon immer; allein der Gedanke ist mir zuwider. Doch vor einer Minute hatte ich eine Rangelei mit Cassie gehabt wie ein betrunkener Raufbold in einer Kneipe und hätte mich fast auf Jonathan Devlin gestürzt, um sinnlos auf ihn einzuprügeln. Und ich hatte Cassie verletzt. Ich fragte mich mit distanziertem klaren Interesse, ob ich im Begriff war, den Verstand zu verlieren.
    Nach einigen Minuten kam Cassie wieder herein, schloss die Tür und lehnte sich dagegen, die Hände in den Taschen ihrer Jeans. Ihre Lippe blutete nicht mehr.
    »Cassie«, sagte ich und rieb mir mit den Händen übers Gesicht. »Es tut mir echt leid. Ist alles in Ordnung mit dir?«
    »Was zum Henker war das eben?« Sie hatte auf beiden Wangenknochen einen leuchtend roten Fleck.
    »Ich hab gedacht, er weiß was. Ich war mir sicher.« Meine Hände zitterten so stark, dass es unecht wirkte, wie ein stümperhafter Schauspieler, der einen Schockzustand simuliert. Ich presste sie zusammen, damit es aufhörte.
    Schließlich sagte sie, ganz leise: »Rob, so geht das nicht weiter.« Ich antwortete nicht. Nach einer ganzen Weile hörte ich die Tür hinter ihr zugehen.

15
    AM SELBEN ABEND BETRANK ICH MICH wie seit fünfzehn Jahren nicht mehr. Die halbe Nacht hockte ich auf dem Boden im Bad und starrte mit glasigen Augen auf die Toilette, von dem einzigen Wunsch beseelt, mich übergeben zu können, damit es ein Ende hatte. Die Ränder meines Gesichtsfeldes pulsierten unangenehm mit jedem Herzschlag, und die Schatten in den Ecken flackerten und pochten und verrenkten sich zu stacheligen, widerlichen kleinen Kriechviechern, die mit dem nächsten Blinzeln wieder verschwanden. Schließlich sah ich ein, dass es wohl nicht schlimmer werden würde. Ich torkelte in mein Zimmer, warf mich, ohne mich vorher auszuziehen, aufs Bett und schlief im Nu ein.
    Ich hatte wirre, unruhige Träume. Etwas zappelte und heulte in einem Jutesack, Lachen und ein Feuerzeug, das näher kam. Glasscherben auf dem Küchenboden, und die Mutter von jemandem weinte jämmerlich. Ich war wieder in der Polizeiausbildung, in einer gottverlassenen Gegend an der Grenze, und Jonathan Devlin und Cathal Mills hatten sich in den Bergen versteckt, mit Schusswaffen und Hunden, und wir mussten sie schnappen, ich und zwei Kollegen vom Morddezernat, groß und kalt wie Wachsfiguren, unsere Schuhe tief versunken in sirupartigem Schlamm. Ich wachte halb auf,

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