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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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kämpfte mit der Bettwäsche, die Laken verschwitzt und verdreht, und wurde, während mir noch klar wurde, dass ich träumte, wieder in den Schlaf gezogen.
    Doch als ich am nächsten Morgen wach wurde, hatte ich ein einziges Bild leuchtend klar im Kopf, wie eine Neonreklame vor meinem inneren Auge. Es hatte nichts mit Peter oder Jamie oder Katy zu tun: Emmett, Tom Emmett, einer der beiden Detectives, die in dem Kaff, wo ich während der Ausbildung stationiert war, eine Stippvisite gemacht hatten. Emmett war groß und dünn und trug dezent schicke Kleidung, und er hatte ein Gesicht wie aus einem Cowboyfilm, zerfurcht und poliert wie altes Holz. Er war noch im Dezernat, als ich dazustieß – inzwischen ist er in Pension –, und er war wohl auch ein ganz netter Kerl, aber ich schaffte es nie, über die anfängliche Ehrfurchtsphase hinauszukommen. Er brauchte mich nur anzusprechen, schon erstarrte ich zur Salzsäule und brachte nur unverständliches Gestammel über die Lippen.
    Einmal hatte ich mich mal wieder auf dem Parkplatz der Wache herumgedrückt, eine geraucht und versucht, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich das Gespräch der beiden Detectives belauschte. Der andere hatte eine Frage gestellt, die ich nicht verstehen konnte, und Emmett schüttelte kurz den Kopf. »Wenn er das nicht macht, dann haben wir die ganze Sache in den Sand gesetzt«, sagte er, nahm einen letzten knappen Zug von seiner Zigarette und trat sie unter einem eleganten Schuh aus. »Dann müssen wir nochmal ganz an den Anfang zurück und sehen, wo wir was falsch gemacht haben.« Dann drehten sie sich um und gingen mit hochgezogenen Schultern Seite an Seite zurück in die Wache, richtig verschwörerisch in ihren unauffälligen, dunklen Jacketts.
    Ich hatte, das war mir klar – als Auslöser für erbärmliche Selbstvorwürfe ist Alkohol unübertroffen –, so gut wie alles hoffnungslos in den Sand gesetzt. Aber das spielte keine Rolle mehr, weil die Lösung plötzlich ganz klar war. Mir schien, als wäre alles, was im Laufe dieses Falles passiert war – meine vermurkste Aussage im Kavanagh-Prozess, die desaströse Vernehmung von Jonathan, die vielen schlaflosen Nächte und trügerischen Gedanken –, von der Hand eines weisen, gütigen Gottes geschickt worden, um mich zu diesem Augenblick zu führen. Die ganze Zeit hatte ich den Wald von Knocknaree gemieden wie die Pest. Ich glaube, ich hätte eher das ganze Land vernommen und mir das Hirn bis zum Gehtnichtmehr zermartert, als dass ich auf die Idee gekommen wäre, wieder einen Fuß dort hineinzusetzen, wenn ich nicht viel zu angeschlagen gewesen wäre, um mich weiter gegen die Einsicht in das einzig Naheliegende zu wehren: Ich war der einzige Mensch, der ganz sicher wenigstens einige der Antworten kannte, und wenn überhaupt irgendetwas sie mir zurückgeben konnte, dann war es (»ganz an den Anfang zurück«) dieser Wald.
    Das klingt sicher nicht gerade nach einer berauschenden Erkenntnis. Aber ich kann nicht mal ansatzweise beschreiben, was es für mich bedeutete, als diese Tausend-Watt-Birne über meinem Kopf anging, als dieses Leuchtfeuer mir sagte, dass ich doch nicht rettungslos in der Wildnis verloren war, dass ich wusste, wohin ich gehen musste. Ich hätte fast losgelacht, wie ich da auf dem Bett saß, im Morgenlicht, das zwischen den Vorhängen hindurchströmte. Ich hätte einen mörderischen Kater haben müssen, aber ich fühlte mich, als hätte ich eine Woche lang durchgeschlafen. Ich sprudelte über vor Energie wie ein Zweiundzwanzigjähriger. Ich duschte und rasierte mich und begrüßte Heather mit einem so munteren »Guten Morgen«, dass sie mich verdutzt und etwas misstrauisch beäugte, und auf der Fahrt in die Stadt sang ich die schrecklichen Hitparadensongs im Autoradio mit.
    Ich ergatterte einen Parkplatz am Stephen’s Green – es erschien mir wie ein gutes Omen, denn normalerweise ist morgens um diese Uhrzeit in Parknähe schon nichts mehr frei – und kaufte auf dem Weg zur Arbeit rasch ein paar Sachen ein. In einem kleinen Buchladen nahe der Grafton Street entdeckte ich eine wunderschöne alte Ausgabe von Sturmhöhe – dicke, am Rand vergilbte Seiten, sattroter Einband mit Goldschrift, auf dem Titelblatt in verblasster Tinte die Widmung »Für Sara, Weihnachten 1922«. Dann kaufte ich bei Brown Thomas eine schicke komplizierte kleine Cappuccino-Maschine. Cassie liebt Kaffee mit Milchschaum, und ich hatte ihr das Gerät zu Weihnachten schenken wollen, war aber nicht dazu

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