Grabesgrün
Chance gehabt hätte, und er kann nie wieder dorthin zurück.«
Die Worte schallten durch mich hindurch wie das Geläut von verlorenen Glocken einer Unterwasserstadt. Cassie war gut: Für den Bruchteil einer Sekunde erfasste mich eine so wilde und tiefe Trostlosigkeit, dass ich den Kopf in den Nacken werfen wollte und heulen wie ein Hund.
»Wissen Sie, was die Savages und Alicia Rowan empfinden, was Sie angeht, Jonathan?«, fragte Cassie. »Sie beneiden Sie. Weil Sie Ihre Tochter beerdigen konnten. Schlimmer ist es, seine Kinder zu verlieren und sie nicht beerdigen zu können. Wissen Sie noch, wie Sie sich an dem Tag gefühlt haben, als Katy verschwunden war? So fühlen die Eltern sich seit zwanzig Jahren.«
»Diese Menschen möchten endlich erfahren, was damals passiert ist, Mr Devlin«, sagte ich leise. »Und das ist nicht nur in ihrem Interesse. Wir gehen davon aus, dass zwischen den beiden Fällen ein Zusammenhang besteht. Wenn wir uns irren, dann müssen wir das wissen, sonst könnte Katys Mörder uns entwischen.«
Etwas blitzte in Jonathans Augen auf, eine üble Mischung aus Entsetzen und Hoffnung, dachte ich, aber es war zu schnell wieder verschwunden, um es mit Sicherheit sagen zu können.
»Was ist an dem Tag passiert?«, fragte Cassie. »Am vierzehnten August 1984. An dem Tag, als Peter und Jamie verschwanden.«
Jonathan schüttelte den Kopf. »Ich hab alles gesagt, was ich weiß.«
»Mr Devlin«, sagte ich und beugte mich zu ihm vor, »es ist leicht nachzuvollziehen, wie das passieren konnte. Sie hatten Panik wegen der Geschichte mit Sandra.«
»Sie wussten, dass sie keine Bedrohung war«, sagte Cassie. »Sie war verrückt nach Cathal, sie hätte nichts gesagt, was ihm geschadet hätte – und falls doch, dann hätte ihr Wort gegen das von Ihnen und Ihren beiden Kumpels gestanden. Geschworene neigen dazu, Vergewaltigungsopfern mit Skepsis zu begegnen, erst recht Vergewaltigungsopfern, die mit zwei von ihren Angreifern freiwillig geschlafen haben. Sie und Ihre Kumpel hätten sie als Flittchen bezeichnen können und wären aus dem Schneider gewesen. Aber die drei Kinder ... ein Wort von denen, und Sie wären im Knast gelandet. Sie konnten sich nicht sicher fühlen, solange sie da waren.«
Sie ging von der Wand weg, rückte einen Stuhl dicht neben ihn und nahm Platz. »Sie waren an dem Tag gar nicht in Stillorgan«, sagte sie sanft, »nicht wahr?«
Jonathan straffte kaum merklich die Schultern. »Doch«, sagte er matt. »Waren wir. Ich und Cathal und Shane. Im Kino.«
»In welchem Film?«
»In dem, den ich den Cops damals genannt habe. Das ist zwanzig Jahre her.«
Cassie schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie, eine leichte, kalte Silbe, die wie eine Wasserbombe fiel. »Vielleicht ist einer von euch im Kino gewesen – ich tippe auf Shane; jedenfalls hätte ich ihn geschickt –, damit er den anderen beiden den Film erzählen kann, für den Fall, dass die Polizei fragt. Vielleicht, wenn ihr schlau wart, seid ihr alle drei ins Kino gegangen und dann nach Beginn des Films durch den Notausgang geschlichen, damit ihr ein Alibi hattet. Aber vor sechs Uhr waren wenigstens zwei von euch wieder in Knocknaree, im Wald.«
»Was?«, sagte Jonathan. Sein Gesicht hatte sich zu einer angewiderten Grimasse verzogen.
»Die Kinder gingen immer um halb sieben nach Hause, und ihr wusstet, es könnte eine Weile dauern, sie zu finden; der Wald war damals noch ganz schön groß. Die drei haben gespielt, sich nicht versteckt, vermutlich einigen Lärm gemacht. Ihr habt euch an sie rangeschlichen, genau wie sie das bei euch gemacht hatten, und sie gepackt.«
Wir hatten das alles natürlich vorher durchgesprochen, bis ins Detail. Aber ein winziges ungutes Gefühl rührte sich zappelnd in mir – Nicht so, so war es nicht –, doch es war zu spät: Es gab kein Zurück mehr.
»Wir waren an dem Tag nicht mal im Wald. Wir –«
»Ihr habt den Kindern die Schuhe ausgezogen, damit sie nicht so leicht weglaufen konnten. Dann habt ihr Jamie getötet. Wie genau, erfahren wir erst, wenn wir die Leichen finden, aber ich wette, mit einem Messer. Ihr habt sie entweder erstochen oder ihr die Kehle durchgeschnitten. So oder so, ihr Blut ist in Adams Schuhe gelaufen. Vielleicht habt ihr aber auch das Blut absichtlich mit den Schuhen aufgefangen, um nicht allzu deutliche Spuren zu hinterlassen. Vielleicht hattet ihr vor, die Schuhe in den Fluss zu werfen, zusammen mit den Leichen. Aber dann, Jonathan, als ihr euch Peter
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