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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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wasserdichtes Alibi für die Nacht, in der Katy starb. Wer bleibt dann noch?«
    »Unterstehen Sie sich ja nicht, auch nur anzudeuten, ich hätte meiner Tochter was getan«, knurrte er leise und drohend.
    »Drei Kinder sind ermordet worden, Mr Devlin, alle an ein und demselben Ort, alle wahrscheinlich, um andere Straftaten zu verdecken. Und in beiden Fällen taucht ein und derselbe Mann auf: Sie. Wenn Sie dafür eine gute Erklärung haben, würden wir sie jetzt gern von Ihnen hören.«
    »Das ist wohl der Gipfel«, sagte Jonathan. Seine Stimme wurde gefährlich laut. »Katy wird – irgendjemand tötet meine Tochter, und ich soll Ihnen eine Erklärung geben? Das ist Ihre Aufgabe, verdammt nochmal. Sie sollten mir Erklärungen geben, statt mich zu beschuldigen –«
    Ich war wie der Blitz aufgesprungen. Ich knallte mein Notizbuch auf den Tisch, stützte mich mit beiden Händen auf und beugte mich weit zu ihm vor. »Ein Mann aus der Gegend, Jonathan, mindestens fünfunddreißig, der länger als zwanzig Jahre in Knocknaree lebt. Ein Mann ohne stichhaltiges Alibi. Ein Mann, der Peter und Jamie kannte, täglich mit Katy zu tun hatte und ein Motiv hatte, alle drei zu töten. Nach wem hört sich das an? Nennen Sie mir nur einen anderen, auf den die Beschreibung passt, und ich schwöre Ihnen, Sie können zur Tür hinausspazieren, und wir belästigen Sie nie wieder. Na los, Jonathan. Nennen Sie mir einen. Nur einen.«
    »Dann verhaften Sie mich doch!«, brüllte er. Er streckte mir die Fäuste entgegen, Handgelenke aneinandergepresst. »Machen Sie schon, wenn Sie sich so verdammt sicher sind, mit Ihren Beweisen – verhaften Sie mich! Na los!«
    Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, wie gern ich das getan hätte. Mein ganzes Leben schoss mir durch den Kopf, wie es einem angeblich kurz vor dem Ertrinken passiert – verweinte Nächte in einem kalten Schlafsaal, Zickzackfahren mit dem Rad, Guck-mal-Ma-freihändig, taschenwarme Brote mit Butter und Zucker, die Stimmen der Detectives, die endlos auf mich einredeten –, und ich wusste, wir hatten nicht genug, es würde niemals reichen, in zwölf Stunden würde er durch die Tür verschwinden, frei wie ein Vogel und schuldig wie die Sünde. Nie zuvor war ich mir einer Sache sicherer gewesen. »Es reicht«, sagte ich und schob meine Manschetten hoch. »Nein, Devlin. Nein. Sie verarschen uns schon den ganzen Abend, und es reicht mir endgültig.«
    »Verhaften Sie mich oder –«
    Ich stürzte mich auf ihn. Er sprang nach hinten, kippte dabei seinen Stuhl um, flüchtete in eine Ecke und hob in der gleichen Reflexbewegung die Fäuste. Cassie war bereits bei mir, hielt mit beiden Händen meinen erhobenen Arm fest. »Mensch, Ryan! Hör auf!«
    Wir hatten das schon so oft gemacht. Es ist unser letztes Mittel, wenn wir wissen, dass ein Verdächtiger schuldig ist, aber einfach nicht gestehen will. Nachdem Cassie mich gepackt hat, entspanne ich mich langsam, schüttele Cassies Hände ab, die wütenden Augen weiter auf den Verdächtigen gerichtet. Dann rolle ich mit den Schultern und recke den Hals, lass mich wieder auf den Stuhl sinken und trommele nervös mit den Fingern, während sie die Vernehmung fortsetzt, mich aber im Auge behält, ob ich auch nicht wieder ausraste. Einige Minuten später fährt sie zusammen, schaut auf ihr Handy und sagt: »Mist, da muss ich rangehen. Ryan ... schön ruhig bleiben, ja? Denk dran, was beim letzten Mal passiert ist«, und lässt uns allein. Es funktioniert. Meistens sogar, ohne dass ich nochmal aufstehen muss. Zehn-, zwölfmal hatten wir das so gemacht. Es lief ab wie am Schnürchen.
    Aber diesmal war es anders, diesmal war es echt, und ich wurde noch wütender, weil Cassie es nicht merkte. Ich wollte meinen Arm losreißen; sie war stärker, als ich gedacht hatte, Handgelenke wie Stahl, und ich hörte eine Naht reißen, irgendwo an meinem Ärmel. Wir vollführten wankend einen unbeholfenen Kampf. »Lass mich los –«
    »Rob, nein –«
    Ihre Stimme drang dünn und sinnlos durch das gewaltige rote Tosen in meinem Kopf. Ich sah nur noch Jonathan, die Stirn gerunzelt und das Kinn gesenkt wie ein Boxer, wie er zwei Schritte entfernt in der Ecke lauerte. Ich riss den Arm mit aller Kraft nach vorn und spürte, wie Cassie rückwärtsstolperte, als ihre Hand von mir abrutschte, doch der Stuhl geriet mir vor die Füße, und ehe ich ihn zur Seite kicken und Jonathan packen konnte, war Cassie wieder bei mir, fasste meinen anderen Arm und drehte ihn

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