Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
Vom Netzwerk:
noch auf dem Parkplatz. Vom vielen Regen war er mit einer Schicht Dreck überzogen, und jemand hatte mit dem Finger AUCH IN SAUBER ERHÄLTLICH an die Beifahrertür geschrieben. Ich ging zwischen den Containern hindurch (offenbar alle menschenleer, nur Hunt schnäuzte sich laut in seinem Büro) auf das Gelände, um meinen Schlafsack und die Thermosflasche von der Lichtung zu holen.
    Die Atmosphäre auf der Ausgrabung hatte sich verändert: diesmal keine Wassergefechte und kein fröhliches Geschrei. Die Leute arbeiteten grimmig schweigend, vornüber gebeugt wie ein Trupp Strafgefangener, in einem energischen, schnellen Rhythmus. Ich ging die Daten im Kopf durch: Das war ihre letzte Woche, die Arbeiten an der Schnellstraße würden am Montag anfangen, falls die einstweilige Verfügung aufgehoben wurde. Ich sah, wie Mel sich aufrichtete und die Hacke absetzte, das Gesicht verzog und eine Hand ins Kreuz legte. Sie war außer Atem, und ihr Kopf fiel nach hinten, als hätte sie nicht mehr die Kraft, ihn hochzuhalten, doch einen Augenblick später rollte sie mit den Schultern, holte Luft und schwang erneut die Hacke. Der Himmel hing grau und schwer, beunruhigend nah. Irgendwo in der Siedlung kreischte eine Autoalarmanlage hysterisch los, ohne dass sich irgendwer drum kümmerte.
    Der Wald war dunkel und düster, gab nicht das Geringste preis. Ich sah ihn an, und mir wurde klar, wie sehr mir davor graute, ihn zu betreten. Mein Schlafsack musste inzwischen völlig durchnässt und wahrscheinlich von Schimmel und Ameisen oder Gott weiß was befallen sein, und ich benutzte ihn ohnehin nie. Er war den gewaltigen Schritt in die tiefe, moosige Stille nicht wert. Vielleicht würde einer von den Archäologen oder die Kinder aus der Gegend ihn finden und sich unter den Nagel reißen, ehe er verrottete.
    Ich würde viel zu spät zur Arbeit kommen, doch schon der Gedanke an das Büro machte mich müde, und ein paar Minuten länger machten den Braten auch nicht mehr fett. Ich suchte mir ein halbwegs bequemes Plätzchen auf einer baufälligen Mauer und zündete mir eine Zigarette an. Ein untersetzter Bursche mit wuscheligen, dunklen Haaren – George McSoundso, ich hatte ihn noch vage von den Vernehmungen in Erinnerung – hob den Kopf und sah mich. Offenbar hatte ich ihn auf einen Gedanken gebracht: Er steckte seine Kelle in die Erde, ging in die Hocke und zog eine plattgedrückte Packung Zigaretten aus seiner Jeans.
    Mark kniete oben auf einer hüfthohen Böschung und kratzte mit verbissener Energie an einem abgesteckten Stück Boden herum, doch noch ehe der dunkle Typ eine Zigarette aus der Schachtel fischen konnte, hatte er ihn erspäht. Mit fliegenden Haaren sprang er die Böschung runter und war mit wenigen Sätzen bei ihm. »He, Baker! Was fällt dir denn ein?«
    Baker fuhr schuldbewusst zusammen – »Menschenskind!« –, ließ die Packung fallen und klaubte sie von der Erde auf. »Ich will eine rauchen. Was dagegen?«
    »Du kannst in der Kaffeepause rauchen. Wie oft soll ich das noch sagen?«
    »Stell dich nicht so an. Ich kann auch bei der Arbeit rauchen, eine Zigarette anzünden dauert keine fünf Sekunden –«
    Mark rastete aus. »Wir können es uns nicht erlauben, auch nur fünf Sekunden zu verschwenden. Nicht mal eine Sekunde. Du bist nicht mehr in der Schule, du Schwachkopf. Das hier ist kein Spiel, kapiert?«
    Er hatte die Fäuste geballt und war halb in Kampfstellung gegangen. Die anderen vom Team hatten ihre Arbeit unterbrochen und schauten mit offenem Mund zu, die Werkzeuge in der Hand. Ich rechnete schon fast mit einer Schlägerei, doch dann rang Baker sich ein Lachen ab und trat zurück, die Hände spöttisch erhoben. »Reg dich ab, Mann«, sagte er. Er hielt die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger und steckte sie mit übertriebener Geziertheit zurück in die Schachtel.
    Mark wartete, bis Baker wieder auf die Knie gegangen war, seine Kelle nahm und weiter den Boden bearbeitete. Dann wirbelte er herum und eilte zurück zur Böschung, die Schultern hochgezogen und steif. Baker rappelte sich verstohlen hoch und folgte Mark, ahmte seinen federnden Gang nach, machte daraus einen Schimpansengalopp. Er erntete ein nervöses Kichern von dem einen oder anderen im Team, was ihn offenbar anspornte, denn er hielt sich die Kelle vor den Schritt und machte mit dem Becken Stoßbewegungen in Richtung von Marks Hinterteil. Seine Silhouette vor dem tiefen Himmel war verzerrt, grotesk, eine Gestalt aus einem obszönen griechischen

Weitere Kostenlose Bücher