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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Fries. Die Luft summte elektrisch wie ein Hochspannungsmast, und ich merkte, wie Bakers Clownerien mich nervten und ich die Fingernägel in die Mauer grub. Es juckte mich, ihm Handschellen anzulegen, ihm eine reinzuhauen, egal was, Hauptsache, er hörte auf.
    Die anderen Archäologen wandten sich schließlich gelangweilt ab, und Baker zeigte Marks Rücken den Mittelfinger und stolzierte zurück zu seinem Arbeitsplatz, als wären noch immer alle Augen auf ihn gerichtet. Ich war auf einmal heilfroh, dass ich das Alter für immer hinter mir hatte. Ich drückte meine Zigarette auf einem Stein aus und knöpfte gerade meinen Mantel zu, um zum Wagen zu gehen, als mich die Erkenntnis wie ein Schlag in die Magengrube traf: die Kelle.
    Ich stand lange Zeit reglos da. Ich konnte meinen Herzschlag fühlen, schnell und flach, tief unten im Hals. Ich schloss den letzten Knopf an meinem Mantel, erspähte Sean unter den kauernden Armeejacken und steuerte über das Gelände auf ihn zu. Ich fühlte mich seltsam leichtfüßig, fast so, als würde ich über dem Boden schweben. Die Archäologen warfen mir kurze Blicke zu, als ich vorbeikam: nicht direkt feindselig, sondern vollkommen leer.
    Sean war dabei, mit der Kelle eine Steinfläche von Erde zu befreien. Er trug Ohrstöpsel unter seiner schwarzen Wollmütze und nickte im Rhythmus des blechernen Heavy-Metal-Getöses sachte mit dem Kopf. »Sean«, sagte ich. Meine Stimme klang, als käme sie von irgendwo hinter meinen Ohren.
    Er hörte mich nicht, doch als ich einen Schritt näher kam, fiel mein Schatten über ihn, schwach im grauen Licht, und er blickte auf. Er griff in die Tasche, schaltete den Walkman aus und zog die Ohrstöpsel nach unten.
    »Sean«, sagte ich, »ich muss mit Ihnen sprechen.« Mark wirbelte herum, starrte uns an und schüttelte wütend den Kopf, ehe er weiter die Böschung attackierte.
    Ich ging mit Sean zum Parkplatz. Er hievte sich auf die Motorhaube des Land Rover und holte einen fettigen Donut in Plastikfolie aus der Jackentasche. »Was liegt an?«, fragte er unbefangen.
    »Erinnern Sie sich noch, wie meine Kollegin und ich am Tag, nachdem Katharine Devlins Leiche gefunden wurde, Mark zur Vernehmung abgeholt haben?«, sagte ich. Ich war beeindruckt, wie ruhig meine Stimme klang, wie natürlich und zwanglos, als ginge es hier nur um eine Kleinigkeit. »Kurz nachdem wir ihn hierher zurückgebracht hatten, haben Sie sich beschwert, Sie könnten Ihre Kelle nicht finden.«
    »Genau«, sagte er mit vollem Mund. »He, es stört Sie doch nicht, wenn ich esse, oder? Mir hängt der Magen in den Kniekehlen, und unser Sklaventreiber kriegt’nen Koller, wenn ich bei der Arbeit esse.«
    »Kein Problem«, sagte ich. »Haben Sie Ihre Kelle wiedergefunden?«
    Sean schüttelte den Kopf. »Ich musste eine neue kaufen. Echt Scheiße.«
    »Okay, überlegen Sie mal genau«, sagte ich. »Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«
    »Fundschuppen«, sagte er prompt. »Als ich die Münze gefunden hab. Wollen Sie den Dieb verhaften oder so?«
    »Nicht direkt. Was ist das für eine Geschichte mit der Münze?«
    »Ich hab da so eine Münze gefunden«, erklärte er. »Alle waren ganz aus dem Häuschen und so, weil sie alt aussah und wir erst an die zehn Münzen gefunden hatten. Ich hab sie in den Fundschuppen gebracht, um sie Dr. Hunt zu zeigen – auf meiner Kelle, denn wenn man alte Münzen anfasst, kann es sein, dass sie hinüber sind oder so –, und er war total aufgeregt und hat in allen möglichen Büchern gekramt, um sie zu identifizieren, und dann war es halb sechs, und wir sind nach Hause, und ich habe meine Kelle auf dem Tisch im Fundschuppen vergessen. Als ich sie am nächsten Morgen holen wollte, war sie weg.«
    »Und das war an dem Donnerstag«, sagte ich frustriert. »An dem Tag, an dem wir gekommen sind, um mit Mark zu sprechen.« Es war nur eine vage Vermutung gewesen, und ich war überrascht, wie enttäuscht ich war. Ich fühlte mich idiotisch und sehr, sehr müde. Ich wollte nur noch nach Hause und ins Bett.
    Sean schüttelte den Kopf und leckte sich Zucker von den schmutzigen Fingern. »Nee, davor«, sagte er, und mein Herzschlag beschleunigte sich wieder. »Ich hab’ne Weile gar nicht an die Kelle gedacht, weil ich sie nicht brauchte – in dem blöden Entwässerungsgraben haben wir nur mit Hacken gearbeitet –, und ich hab gedacht, jemand hätte meine Kelle für mich mitgenommen und vergessen, sie mir zurückzugeben. An dem Tag, als ihr wegen Mark gekommen seid, da

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