Grabesgrün
die Opferbetreuung zuständig. Wir haben eine Verantwortung Katy gegenüber und die Verantwortung herauszufinden, was wirklich passiert ist, mehr nicht. Alles andere ist zweitrangig.«
»Und wenn Rosalind Depressionen bekommt oder einen Nervenzusammenbruch, weil wir sie unter Druck gesetzt haben? Ist dafür dann auch die Opferbetreuung zuständig? Es könnte sein, dass sie durch uns einen Knacks fürs Leben kriegt, ist dir das klar? Solange wir nicht mehr haben als eine minimale Übereinstimmung, lassen wir sie schön in Ruhe.«
»Minimale Übereinstimmung?« Cassie schob mit einem Ruck die Hände in die Taschen. »Rob. Wenn es hier nicht um Rosalind Devlin ginge, was würdest du jetzt tun?«
Eine Zorneswelle stieg in mir hoch, heiße wirre Wut. »Nein, Maddox. Nein. Komm mir nicht so. Wenn überhaupt, dann ist es umgekehrt. Du konntest Rosalind von Anfang an nicht ausstehen, oder? Seit dem ersten Tag versuchst du, ihr was anzuhängen, und jetzt, wo Damien dir einen jämmerlichen Vorwand geliefert hat, stürzt du dich darauf wie ein ausgehungerter Hund auf einen Knochen. Mein Gott, von dir hätte ich echt nicht gedacht, dass du auf so ein Mädchen eifersüchtig bist.«
»Eifersüchtig auf – verdammt, Rob, du hast echt Nerven! Ich hätte auch nicht von dir gedacht, dass du eine Verdächtige laufen lässt, nur weil du scharf auf sie bist und aus irgendeinem bescheuerten unerklärlichen Grund sauer auf mich.«
Sie brauste auf, und ich schaute mit nüchternem Vergnügen zu. Meine Wut ist kalt, beherrscht, wortgewandt; sie kann einen plötzlichen Ausbruch wie den von Cassie jederzeit niedermachen. »Schrei leiser«, sagte ich. »Du bist peinlich.«
»Ach, findest du? Du bist eine Peinlichkeit für unser ganzes Scheißdezernat.« Sie stopfte ihr Notizbuch in die Tasche, zerknitterte die Seiten. »Ich hole jetzt Rosalind Devlin ab –«
»Untersteh dich. Verdammt nochmal, benimm dich gefälligst wie ein Detective, nicht wie ein hysterischer Teenager auf Rachefeldzug.«
»Ich hole sie, Rob. Und du und Damien könnt von mir aus machen, was ihr wollt, und wenn ihr euch gegenseitig in den Arsch kriecht –«
»Tja«, sagte ich, »danke für den Tipp. Sehr professionell.«
»Was zum Henker geht bloß in deinem Kopf vor?«, brüllte Cassie. Sie kickte die Tür hinter sich mit einem lauten Knall ins Schloss, und ich hörte das Echo tief und unheilvoll über den Flur hallen.
Ich wartete, bis sie weg war. Dann ging ich nach draußen, eine rauchen. Damien war ein großer Junge und kam sicherlich noch ein paar Minuten allein klar. Es wurde allmählich dunkel, und es regnete noch immer in Strömen. Ich schlug den Jackettkragen hoch und drückte mich ungemütlich in den Eingang. Meine Hände zitterten. Cassie und ich hatten uns schon öfter gestritten, natürlich. Zwischen Partnern knallt es schon mal heftig, genau wie in einer Beziehung. Einmal hatte sie vor lauter Wut auf mich so fest mit der Faust auf ihren Schreibtisch geschlagen, dass das Handgelenk anschwoll. Danach herrschte fast zwei Tage zwischen uns Funkstille. Aber selbst das war anders gewesen, ganz anders.
Ich warf meine durchweichte Zigarette halb aufgeraucht weg und ging wieder hinein. Ich hatte nicht übel Lust, Damien in Untersuchungshaft zu verfrachten und nach Hause zu fahren, einfach Cassie alles Weitere zu überlassen, wenn sie wieder da war, aber ich wusste, dass ich mir den Luxus nicht leisten konnte: Ich musste sein Motiv herausfinden, und das möglichst schnell, ehe Cassie dazu kam, Rosalind in die Mangel zu nehmen.
Damien begriff allmählich, was passiert war. Er war völlig aufgedreht, kaute an den Nägeln und wippte mit den Knien, und er fragte mich ein Loch in den Bauch: Was würde als Nächstes passieren? Er musste ins Gefängnis, nicht? Für wie lange? Seine Mutter würde das nicht überleben, bei ihrem schwachen Herzen ... War es hinter Gittern wirklich so gefährlich, wie man es im Fernsehen sah?
Doch jedes Mal, wenn ich auf das Thema Motiv zu sprechen kommen wollte, machte er dicht: rollte sich zusammen wie ein Igel, sah mir nicht mehr in die Augen und gab vor, sich nicht erinnern zu können. Der Streit mit Cassie hatte mich offenbar aus dem Rhythmus gebracht. Ich fand alles furchtbar holperig und anstrengend, und was ich auch probierte, ich erreichte bloß, dass Damien den Tisch anstarrte und traurig den Kopf schüttelte.
»Also schön«, sagte ich schließlich. »Reden wir ein bisschen über Ihre Eltern. Ihr Vater ist vor neun Jahren
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