Grabesgrün
hättest mir vertrauen sollen, hätte ich fast gesagt. Ich sah, wie Sams Blick zwischen uns hin und her glitt, verwirrt und beunruhigt.
»Wie auch immer«, sagte Cassie und wandte sich wieder ihrer Zeichnung zu, »durch Angst lässt sich ihr kein Geständnis abringen. Psychopathen empfinden eigentlich keine Angst, meistens bloß Aggression, Langeweile oder Lust.«
»Okay«, sagte Sam. »Was ist dann mit Jessica? Könnte die etwas wissen?«
»Durchaus möglich«, sagte ich. »Sie stehen sich nahe.« Cassie verzog bitter einen Mundwinkel.
»Ach verdammt«, sagte O'Kelly. »Die ist zwölf, stimmt’s? Das bedeutet, nichts ohne die Eltern.«
»Wenn ihr mich fragt«, sagte Cassie, ohne aufzublicken, »würde es auch nichts bringen, mit Jessica zu sprechen. Sie steht völlig unter Rosalinds Kontrolle. Was immer Rosalind auch mit ihr angestellt hat, die Kleine ist so durcheinander, dass sie kaum einen eigenen Gedanken fassen kann. Wenn wir es irgendwie schaffen, einen Haftbefehl gegen Rosalind zu erwirken, ja, dann kriegen wir früher oder später vielleicht was aus ihr raus, aber solange Rosalind zu Hause ist, gibt Jessica aus Panik, etwas Falsches zu sagen, keinen Mucks von sich.«
O’Kelly verlor die Geduld. Er lässt sich nicht gern aus dem Konzept bringen, und die aufgeladene Atmosphäre im Raum ging ihm gewiss genauso an die Nerven wie der Fall selbst. »Na toll, Maddox. Heißen Dank. Was schlagen Sie also vor? Na los, lassen Sie mal was Konstruktives hören, statt immer nur alle Ideen abzuschmettern.«
Cassie hörte auf zu zeichnen und balancierte ihren Stift auf einem Finger. »Okay«, sagte sie. »Psychopathen fahren darauf ab, Macht über andere zu haben – sie zu manipulieren, ihnen Schmerzen zuzufügen. Ich denke, wir sollten es damit versuchen. Wir geben ihr so viel Macht, wie sie haben will, mal sehen, ob sie die Kontrolle über sich selbst verliert.«
»Wie stellen Sie sich das vor?«
»Gestern Abend«, sagte Cassie langsam, »hat Rosalind mir unterstellt, ich würde mit Detective Ryan schlafen.«
Sams Kopf fuhr zu mir herum. Ich hielt die Augen weiter auf O'Kelly gerichtet. »Das hab ich nicht vergessen, glauben Sie mir«, sagte er düster. »Und ich hoffe für euch, dass das nicht wahr ist. Ihr zwei steckt auch so schon tief genug im Dreck.«
»Nein«, sagte Cassie ein wenig matt, »es stimmt nicht. Sie wollte mich bloß ablenken und hat gehofft, einen empfindlichen Punkt bei mir zu treffen. Es ist ihr nicht gelungen, aber das weiß sie nicht genau. Ich könnte mich auch bloß sehr gut verstellt haben.«
»Und?«, fragte O’Kelly.
»Na ja«, sagte Cassie, »ich könnte mit ihr reden, zugeben, dass Detective Ryan und ich schon lange eine Affäre haben, und sie bitten, uns nicht zu melden – vielleicht erzähl ich ihr auch, wir hätten den Verdacht, dass sie in Katys Tod verstrickt ist, und biete ihr an, ihr zu sagen, wie viel wir wissen, wenn sie dafür im Gegenzug den Mund hält, so was in der Art.«
O'Kelly schnaubte. »Und Sie glauben, dann singt sie wie ein Vögelchen?«
Cassie zuckte die Achseln. »Ja, ich glaube schon. Die meisten, die etwas Schreckliches getan haben, geben das nicht gern zu, auch wenn ihnen dafür keine Strafe blüht, und zwar, weil sie sich deshalb mies fühlen und weil sie nicht wollen, dass andere schlecht über sie denken. Für Rosalind sind andere Menschen nicht real, ähnlich wie Figuren in einem Videospiel, und richtig und falsch sind bloß Wörter. Sie hat keine Schuldgefühle oder Gewissensbisse oder so, weil sie Damien angestiftet hat, Katy umzubringen. Im Gegenteil, ich wette, sie ist ganz begeistert von sich. Das ist ihre bisher größte Leistung, und sie hat noch bei niemandem damit prahlen können. Wenn sie sicher ist, dass sie die Oberhand hat, und wenn sie sicher ist, dass ich nicht verdrahtet bin – falls ja, würde ich wohl kaum zugeben, dass ich mit meinem Partner ins Bett gehe, oder? –, dann glaube ich, wird sie die Chance ergreifen. Einer Polizistin zu erzählen, was sie getan hat, und genau zu wissen, dass ich sie deshalb nicht drankriegen kann, dass ich mich schwarzärgern muss ... Das verschafft ihr den schönsten Kick ihres Lebens. Sie wird nicht widerstehen können.«
»Sie kann erzählen, was sie will«, sagte O’Kelly. »Ohne Rechtsbelehrung ist nichts davon vor Gericht zulässig.«
»Dann belehre ich sie eben.«
»Und Sie glauben, dann redet sie munter weiter? Sie haben doch vorhin gesagt, das Mädchen ist nicht
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