Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
Vom Netzwerk:
sah ein, dass es vermutlich die richtige Entscheidung gewesen war. Aber irgendwie wurde ich trotzdem das ungute Gefühl nicht los, dass sie mich weggeschickt hatten, weil sie sich vor mir fürchteten. Wie ein entsetzlich missgestaltetes Kind, das eigentlich das Säuglingsalter nicht hätte überstehen sollen, oder wie ein siamesischer Zwilling, dessen andere Hälfte unter dem Messer gestorben war, so war ich einfach nur dadurch, dass ich überlebt hatte, zu einem Monstrum geworden.

8
    SAM WAR AUF DIE MINUTE PÜNKTLICH, sah aus wie ein junger Bursche auf seinem ersten Date – er hatte sogar vergeblich versucht, sein Haar mit Gel glatt zu kriegen – und brachte eine Flasche Wein mit. »Bitte sehr«, sagte er, als er sie Cassie überreichte. »Ich wusste nicht, was du kochst, aber der Verkäufer meinte, der passt so ziemlich zu allem.«
    »Sehr gut«, sagte Cassie, stellte die Musik leiser (Ricky Martin auf Spanisch; sie hat so eine Gute-Laune-CD, die sie lautdreht, wenn sie kocht oder putzt) und ging zum Schrank, um Gläser zu holen, die sich für Wein eigneten. »Ich mach sowieso nur Pasta. Der Korkenzieher ist da in der Schublade. Rob, Schätzchen, du sollst die Soße rühren , nicht einfach nur den Löffel in den Topf halten.«
    »Wer kocht denn hier, du oder ich?«
    »Offenbar keiner von uns. Sam, trinkst du Wein oder bist du mit dem Auto da?«
    »Maddox, Tomaten aus der Dose mit Basilikum kann man ja wohl kaum als Haute Cuisine bezeichnen –«
    »Haben sie dir bei der Geburt den Gaumen rausoperiert oder hast du dir jede Form von Geschmack systematisch abtrainiert? Sam, Wein?«
    Sam blickte leicht verwirrt drein. Manchmal vergessen Cassie und ich, wie wir auf andere wirken können, vor allem, wenn wir nicht im Dienst und guter Laune sind, was der Fall war. Ich weiß, nach dem, was wir den ganzen Tag über getan hatten, klingt das eigenartig, aber in Abteilungen mit einem hohen Horrorfaktor – Mord, Sexualverbrechen, Häusliche Gewalt – lernt man abzuschalten, sonst sollte man sich ins Dezernat für Kunstfälschung und -diebstahl versetzen lassen. Wenn man anfängt, zu sehr über die Opfer nachzudenken (was sie in den letzten Sekunden empfunden haben, was sie alles nicht mehr tun können, die trauernden Angehörigen), hat man am Ende einen Nervenzusammenbruch und einen ungelösten Fall mehr. Natürlich fiel es mir bei diesem Fall schwerer als sonst abzuschalten, aber zu kochen und Cassie zu ärgern tat mir gut, weil es so alltäglich war.
    »Äh, ja bitte«, sagte Sam. Er blickte sich unsicher um, wo er seine Jacke hinhängen sollte. Cassie nahm sie und warf sie auf den Futon. »Mein Onkel hat ein Haus in Ballsbridge – ja, ja, ich weiß«, sagte er, als wir ihn beide übertrieben beeindruckt ansahen, »und ich hab noch immer die Schlüssel. Manchmal übernachte ich dort, wenn ich was getrunken hab.« Er blickte zwischen uns hin und her, wartete auf einen Kommentar.
    »Gut«, sagte Cassie, steckte erneut den Kopf in den Schrank und tauchte mit einem Glas wieder auf, das die Aufschrift »Nutella« trug. »Ich hasse es, wenn die einen trinken und die anderen nicht. Dann gerät das Gespräch so leicht in Schräglage. Übrigens, was hast du eigentlich dem armen Cooper angetan?«
    Sam lachte entspannt und kramte nach dem Korkenzieher. »Das war nicht meine Schuld, Ehrenwort. Meine ersten drei Fälle sind alle um fünf Uhr abends reingekommen. Er wollte immer gerade nach Hause gehen, wenn ich anrief.«
    »O-oh«, sagte Cassie. »Böser Sam.«
    »Du kannst froh sein, dass er überhaupt mit dir spricht«, sagte ich.
    »Nur das Nötigste«, sagte Sam. »Und er tut noch immer so, als könnte er sich meinen Namen nicht merken. Er nennt mich Detective Neary oder Detective O'Nolan – sogar wenn er im Zeugenstand ist. Einmal hat er mich jedes Mal anders genannt, wenn er mich erwähnt hat, was den Richter so konfus gemacht hat, dass er das Verfahren fast eingestellt hätte. Gott sei Dank kann er euch beide gut leiden.«
    »Das liegt nur an Ryans Dekolleté«, sagte Cassie, schubste mich mit der Hüfte beiseite und warf eine Handvoll Salz ins Nudelwasser.
    »Dann werd ich mir wohl einen Wonderbra kaufen müssen«, sagte Sam. Er entkorkte gekonnt die Flasche, füllte die Gläser und reichte sie uns. »Cheers, Freunde. Danke für die Einladung. Trinken wir auf eine rasche Lösung des Falls ohne hässliche Überraschungen.«

    Nach dem Essen ging es zur Sache. Ich kochte Kaffee, Sam bestand darauf, den Abwasch zu machen.

Weitere Kostenlose Bücher