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Grabeskaelte

Grabeskaelte

Titel: Grabeskaelte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maren Schwarz
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sang eine Amsel. Henning sah auf seine Armbanduhr. Es war Freitagmorgen, der sechzehnte April, sieben Uhr dreißig. Voller Tatendrang stand er auf. Zuerst einmal würde er der Goetheschule, die seit der Wende als Gymnasium diente, einen Besuch abstatten. Die Sache mit dem Klassentreffen kam ihm äußerst gelegen. In seinem Notizbuch schlug er die Namen, die er Arno Corte entlockt hatte, nach: Uwe Siebert und Maik Dölz. Er hoffte inständig, dass auch sie der Einladung folgen würden. Sicher war er sich da keineswegs.
    Frischer Kaffeeduft wehte ihm in die Nase, als er nach unten ging. Ralph stand in der Küche und war damit beschäftigt, den Tisch zu decken.
    „Und, gut geschlafen?“, begrüßte er Henning und fügte hinzu: „Sie haben Glück, dass Sie mich noch angetroffen haben. Ich muss nämlich gleich los zur Arbeit.“ Ralph nahm einen Schlüssel von der Anrichte.
    „Hier, das ist der Hausschlüssel. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Sie, so lange Sie wollen, hier wohnen bleiben können. Hauptsache Sie finden den Mistkerl, der für Coras Tod verantwortlich ist.“
    Ralph stellte Milch und Zucker auf den Tisch und goss Kaffee in zwei hohe dunkelblaue Tassen. In einem Körbchen lagen mehrere Scheiben goldgelben Toasts. Er bot Henning davon an. Während des Frühstücks erkundigte Ralph sich bei Henning nach dessen weiteren Plänen.
    Gemeinsam verließen sie wenig später das Haus. Ralph setzte Henning an der Schule ab und fuhr dann zu seiner Arbeitsstelle, einem Architekturbüro das sich im Neubaugebiet befand.
    Das Wetter hatte umgeschlagen. Ein kühler Nordwind wehte. Das Quecksilber war um mehrere Grad gefallen, und der Himmel zeigte sich wolkenverhangen und grau. Im Radio hatten sie für heute noch Regen gemeldet. Zum Schutz gegen den Wind und die Kälte hatte Henning den Kragen seiner Jacke hochgeschlagen und die Hände in den Taschen vergraben. In Richtung Kreisgericht laufend, kam er an einem Spielplatz vorbei, auf dem trotz der widrigen Witterung eine lärmende Gruppe von Kleinkindern herumtobte. Versonnen beobachtete er einige Minuten lang ihr Spiel. Gerade als er die Straße, die ihn vom Gymnasium, einem riesigen Klinkerbau, trennte, überqueren wollte, hielt neben ihm mit quietschenden Bremsen ein Streifenwagen. Volkmar Kühnelt, einer von Hennings ehemaligen Kollegen kurbelte die Scheibe herunter und beugte sich nach draußen. „Habe ich mich also doch nicht getäuscht! Mensch Henning, was machst du denn hier? Ich denke du bist in Leipzig. Oder hattest du Sehnsucht nach der Heimat?“, scherzte er. „Aber im Ernst“, fügte er hinzu: „Es ist schön dich zu sehen. Ich hoffe es geht dir gut. Bei uns ist mal wieder die Hölle los. Hast du nicht Lust, mit mir zu tauschen?“ Henning lächelte. „Ich werd’s mir wohlwollend überlegen.“
    Bevor Volkmar weitere Fragen stellen konnte ging sein Funkgerät an und Henning war froh, seinen Weg fortsetzen zu können. Eigentlich hätte er damit rechnen müssen, einem seiner ehemaligen Kollegen über den Weg zu laufen. Schließlich war die Polizeiwache nicht allzu weit entfernt. Für einen kurzen Augenblick plagte ihn sein schlechtes Gewissen. Was suchte er eigentlich hier? Welcher Teufel hatte ihn geritten, auf eigene Faust zu ermitteln? Sollte er sich mit seinen Vermutungen nicht lieber an einen seiner Kollegen wenden? Was, wenn alles aufflog? Was sollten sie dann von ihm denken?
    Zögernd verharrte er am Eingang der Schule, rang mit sich. Doch dann straffte sich sein Körper. Entschlossen drückte er die Klinke nieder und machte sich auf die Suche nach dem Sekretariat. Als er wenig später die Schule wieder verließ, umspielte ein siegessicheres Lächeln seine Lippen. In seinem Notizbuch befand sich die Adresse von Herta Siebert, Uwes Mutter. Frau Reichel, die Sekretärin, hatte sich als äußerst mitteilsame Person entpuppt. Erst einmal in Fahrt gekommen, war es gar nicht so leicht, ihren Redefluss zu stoppen und in die gewünschte Richtung zu lenken. Immerhin wusste Henning jetzt, dass Uwe Siebert augenblicklich bei seiner Mutter anzutreffen war. Normalerweise fuhr er zur See. Dass sein Heimaturlaub und das Klassentreffen zusammenfielen, war reiner Zufall. Diese günstige Gelegenheit musste Henning nutzen.
    Herta Siebert wohnte in einem heruntergekommenen Mietshaus nahe dem Schützenplatz. Außen wie innen war der Putz an mehreren Stellen abgebröckelt. Über ausgetretene Steintreppen gelangte Henning in den dritten Stock. Je höher er stieg, umso

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