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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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hier stand nun sein Verteidiger und blickte auf mich herab. Gezielt charismatisch. Newly hatte braunes Haar, gemeißelte Gesichtszüge und eindringliche dunkle Augen, von denen es hieß, dass sie einen Zeugen der Anklage lange bevor er mit dem Kreuzverhör begann aus der Fassung bringen konnten. Doch in seiner funkelnagelneuen Designer-Trekkingkluft sah er durch und durch wie ein Tourist aus. Völlig harmlos.
    »Irene«, schalt er, »Sie wollen uns doch beim Abendessen nicht Ihrer Gesellschaft berauben, oder?«
    »Berauben ist wohl kaum das Wort, das die gegnerische Fraktion verwenden würde.« Man hatte mir erklärt, dass ich meine eigene Verpflegung mitbringen müsse, obwohl die anderen auf Kosten der Polizei von Las Piernas verköstigt wurden. Newly hatte für den ersten Abend unter freiem Himmel Steaks erstanden.
    »Mein Gott«, sagte er, »wenn ich den geballten Widerwillen ertragen kann, den die anderen für meine Branche zum Ausdruck bringen, schaffen Sie das auch. Kommen Sie und setzen Sie sich zu uns.«
    »Danke für die Einladung, Phil, aber wenn ich die Sachen nicht esse, die ich jetzt zubereiten möchte, muss ich sie morgen auf dem Rücken mitschleppen. Außerdem habe ich keine Lust, Nick Parrish dabei zuzusehen, wie er Steaks verdrückt.«
    »Ich glaube, Earl wird meinem Klienten ein Mortadella-Sandwich kredenzen.«
    Ich schmunzelte. »Und Sie haben nicht dagegen protestiert?«
    »Kaum.« Er zögerte einen Moment, bevor er hinzufügte: »Ich muss meine Klienten nicht mögen, Irene. Ich muss ihnen lediglich die bestmögliche Verteidigung zukommen lassen, die ich ihnen bieten kann.«
    »Aber Parrish lag anscheinend gar nicht viel an einer Verteidigung, oder?«
    »Ich war gegen diesen Handel.«
    »Es lag eine stichhaltige Anklage gegen ihn vor.«
    »Irene, bitte –«
    »Okay, okay, mir ist nicht völlig unbekannt, was aus einer stichhaltigen Anklage werden kann, nachdem Sie sich darüber hergemacht haben.«
    Er lachte. »Das fasse ich als Kompliment auf. Und jetzt sagen Sie bitte, dass Sie sich zu uns setzen.«
    »Tut mir Leid, Phil. Die Journalistin in mir sagt zwar, dass ich eine bessere Geschichte schreibe, wenn ich ein Kameradschaftsgefühl entwickle und so, aber ich habe den Verdacht, dass wir in den nächsten zwei, drei Tagen noch genug Gelegenheit haben werden, uns gegenseitig über die Füße zu stolpern.«
    »Na gut, ich bedränge Sie nicht. Aber bleiben Sie nicht den ganzen Abend weg, sonst macht es noch den Eindruck, als würden Sie schmollen.«
    »Da haben Sie Recht«, gab ich zu und empfand leise Enttäuschung bei dem Gedanken, dass ich meine Handschuhe wieder schnüren und erneut in den Ring steigen musste. »Dann bis später.«
     
    Während ich mir überlegte, ob sich in den Jahren, in denen ich auf Trekking verzichtet hatte, irgendein Aspekt davon entscheidender verbessert hatte als die gefriergetrockneten Mahlzeiten, räumte ich alles auf und gesellte mich zu der Gruppe, die sich um ein kleines Lagerfeuer versammelt hatte. Earl und Duke hatten Parrish in sein Zelt geführt und hielten dort Wache. Aber einer der anderen Polizisten, Manton, war nett zu mir, und ebenso Flash Burden, der Fotograf. Mit zwei Ausnahmen – Bob Thompson und Ben Sheridan – zeigte sich nach dem Essen kaum mehr jemand feindselig.
    Kurz nachdem ich gekommen war, erklärte Thompson, dass er nun schlafen ginge. »Ich würde empfehlen, dass die anderen das Gleiche tun.« Doch die anderen ignorierten ihn.
    Manton bemerkte meine beklommenen Blicke zu dem Zelt, in das Parrish gebracht worden war, und sagte: »Keine Sorge, wir lassen ihn nicht aus den Augen. Ihnen passiert nichts.«
    »Danke«, sagte ich, konnte aber die Vorstellung nicht abschütteln, dass Parrish hellwach dalag und auf jedes Wort, jeden Laut außerhalb seines Zelts lauschte.
    Ein durchdringendes Geräusch ließ mich zu Ben Sheridan hinüberblicken, der Zweige in immer kleinere Stücke zerbrach. Ich war nicht die Einzige, der es schwer fiel, sich in der freien Natur zu entspannen.
    Doch schon bald lenkten mich die anderen ab, indem sie mich auf den Arm nahmen, weil ich mir die Steaks hatte entgehen lassen.
    »Es ist schneller gegangen, die Steaks zu braten, als unser alter Dave hier gebraucht hat, um das Futter für seinen Hund herzurichten«, erklärte Merrick und begann zu schildern, wie aufwändig David Bingles Futter zubereitet hatte.
    »Hey, ich muss gut für Bingle sorgen«, wehrte sich David. »¿Estás bien, Bingle?« Bingle, der zwischen ihm und

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