Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
Vom Netzwerk:
Ben saß, beugte sich herüber und küsste David aufs Ohr.
    »Herrgott«, sagte Manton, »Sie lassen sich von diesem Hund küssen, nachdem er an allen möglichen Leichen geleckt hat?«
    »Bingle, er verleumdet dich!«, sagte David in einem Ton, der den Hund zum Bellen veranlasste. »Bingle küsst nur Lebende. Aber natürlich könnte ihn jemand mit einem Atem wie Ihrem aus dem Konzept bringen, Manton, also küsst er Sie vielleicht nicht.«
    »Was ist das für ein Zeug, das Sie ihm zu fressen geben?«, wollte Flash Burden wissen.
    »Ach, das ist meine geheime Mixtur im Superhelden-Training.«
    »Auf jeden Fall ergibt sich aus den Anfangsbuchstaben ein interessantes Wort«, bemerkte Andy.
    »Treten Sie nur nicht rein wie jetzt gerade in meine Pointe«, erwiderte David, allerdings ohne jeden Groll.
    Bingle lag mit den Ohren nach vorn ruhig da und musterte David. David, so fiel mir auf, betrachtete Bingle auch reichlich oft.
    Andy erkundigte sich nach Bool, und David erklärte, dass er sich bei der Suche nach Kara Lane eine Pfote verletzt hatte. »Wenn Bool sich darauf konzentriert, einen Geruch zu finden, passt er nicht so genau auf, wohin er tritt. Er wird wieder gesund, aber für eine Suche wie die hier ist er momentan nicht in Form. Ich habe einen Freund, der Bluthunde trainiert und auf Bool aufpasst, solange ich hier bin.«
    »Der Schäferhund hier muss der Klügere der beiden sein«, meinte Manton.
    David lächelte. »Bingle ist auf jeden Fall ein hoch gebildeter Hund. Er beherrscht sogar zwei Sprachen. ¿Correcto, Bingle? « Bingle setzte sich wieder auf und stieß ein einzelnes, durchdringendes Bellen aus. »Und neben seinem Training als Leichenhund hat er auch eine Stimmausbildung genossen.«
    »Eine Stimmausbildung?«, fragte Manton.
    »Cántame, Bingle«, sagte David und stimmte »Home on the Range« an. Bingle summte in perfekter Tonlage den Refrain mit. Ich hätte schwören können, dass wir allesamt den Hund den Text singen hörten. Keiner konnte sich das Lachen verkneifen. Fast keiner.
    »Es reicht, David«, sagte Ben in schneidendem Ton.
    Schweigen.
    Alle rutschten ein bisschen unbehaglich hin und her, außer David und Bingle. Hund und Mann sahen Ben an, während Bingle verwirrt den Kopf zur Seite legte.
    »Ach, das abschreckende Wort«, sagte David sanft und ohne jeden Anflug von Ärger. Leise begann er Bingle zu loben.
    Ben stand auf und ging davon.
     

5
     
    DIENSTAG, 16. MAI, 2 UHR 25
    Bergland der südlichen Sierra Nevada
     
    Nichts hält einen wirkungsvoller wach, als darüber zu sinnieren, in welchem Zustand man am nächsten Tag sein wird, wenn man nicht bald einschläft. Aus den meisten anderen Zelten vernahm ich leises Schnarchen, garniert mit zweifachem Sägen aus dem Zelt, wo Bingle an David geschmiegt schlummerte. Anfangs hörte ich die regelmäßigen Schritte von Manton und Merrick, später die von Duke und Earl.
    Meine Klaustrophobie setzte ein. Da ich es im Zelt nicht mehr aushielt, saß ich schon bald in seiner geöffneten Klappe, betrachtete die Sterne, lauschte auf die Insekten und fragte mich, was für Tiere die anderen Geräusche machten, die ich hörte – gelegentliches Rascheln und Knacken. Unsere Lebensmittel waren in Bärensäcken hoch oben aufgehängt worden, in sicherer Entfernung hundert Meter weit weg vom Lager, doch ich war mir nicht so sicher, ob wir nicht Gegenstand bärischer Beobachtung waren.
    Ich dachte viel über Frank nach – überlegte, ob er auch wach lag und ob ihn der Funkspruch des Piloten, dass wir gut angekommen waren, erreicht hatte. Ich dachte an meinen Cousin Travis, der bei uns wohnte. Und ich dachte an meine Hunde und meine Katze.
    Ich rang schwer darum, meine Gedanken von einem ganz bestimmten Aufenthalt in den Bergen fern zu halten, als ich in einem kleinen Raum einer Hütte festsaß, die Gefangene reichlich brutaler Gastgeber. Die Albträume, die die Ereignisse dort ausgelöst hatten, hatten mittlerweile nachgelassen, doch ich wusste, was sie wieder lebendig machen konnte – beengte Räume, Stress, eine neue Umgebung.
    Denk an was anderes.
    Ich dachte an Gillian Sayre. Ich dachte an ihre Mutter. Ich blieb wach.
    Ich überlegte, ob ich den alten Erinnerungen an meine Gefangenschaft freien Lauf lassen, ob ich einfach ungehemmt an sie denken sollte – in Gottes Namen über sie nachgrübeln, falls das die Spannung löste –, als urplötzlich Helligkeit auf mein Gesicht fiel. Eine Taschenlampe, die rasch gesenkt wurde. Sowohl der Weg des Lichtstrahls

Weitere Kostenlose Bücher