Grabesstille
wird?«
»Nein«, gab ich zu. »Vielleicht sollten Sie erst herausfinden, was sie denken.
Besuchen Sie einen oder zwei von ihnen. Sie haben doch diese kleine Schnitzarbeit, die Sie Dukes Enkel geben wollen?«
»Ja«, antwortete ich, voller Schuldgefühle, weil ich sie Dukes Witwe noch nicht gebracht hatte.
Kurz bevor ich Jo Robinsons Sprechzimmer verließ, sagte ich: »Ich möchte wieder arbeiten.«
»Ich glaube, Sie werden recht bald dazu in der Lage sein.«
»Ich meine diese Woche.«
»Bald«, sagte sie. »Probieren Sie mal etwas Neues aus – haben Sie Geduld mit sich selbst.«
Sie besaß die Macht, mich so lange sie wollte von meinem Job beim Express fern zu halten. Das machte mich ziemlich wütend, und sie konnte es mir zweifellos vom Gesicht ablesen. Sie musterte mich weiterhin ruhig.
Ich fragte mich, ob eine Reporterin, die einen großen Gegenstand durch die Glaswand des Büros ihres Chefs geworfen hatte, bei einer anderen Zeitung eine Stelle bekäme. Ich fragte mich, ob ich bei meinem Freund und ehemaligen Chef, dem Besitzer der PR-Agentur, bei der ich vor ein paar Jahren aufgehört hatte, anfragen sollte, ob mein alter Job noch zu haben war. Ich wusste, dass er mich einstellen würde, doch die Vorstellung, für den Rest meines Lebens fröhliche, muntere Texte verfassen zu müssen, deprimierte mich nachhaltig.
Stattdessen machte ich meine Hausaufgaben.
Zwei Tage später machte ich den letzten meiner Besuche bei den Witwen und Angehörigen der Polizisten, die in den Bergen ums Leben gekommen waren. Ich war erschöpft. Niemand hatte nach Leichenteilen gefragt. Niemand hatte es versäumt, mich willkommen zu heißen. Alle hatten mir dafür gedankt, dass ich mir die Zeit genommen hatte, vorbeizukommen. An jeder Station waren viele Tränen geflossen.
Dukes Witwe dankte mir überschwänglich für das kleine Holzpferdchen und wollte keine Entschuldigung für die verspätete Übergabe hören. Und genauso war es bei allen – zahlreiche Umarmungen, einiger Kummer, aber keine Vorwürfe. Sämtliche Wut, sämtliche Schuldzuweisungen konzentrierten sich auf Nicholas Parrish.
Den letzten Besuch hatte ich bei den Eltern von Flash Burden gemacht, dem jüngsten der Männer, die in den Bergen umgekommen waren. Sie hatten die Habseligkeiten ihres Sohnes aus dessen Wohnung geholt und zeigten mir nun, Kiste für Kiste, die Preise, die er gewonnen hatte – in erster Linie für Fotografie, aber es gab auch eine Kiste mit Hockey-Trophäen. Stolz führten sie mich in einen Raum, der als Galerie für seine Fotos diente. Darunter waren sagenhafte Naturfotos, aber auch Momentaufnahmen großstädtischen Lebens, die bewiesen, dass er einen scharfen Blick und viel Humor hatte. Frank hatte mir gesagt, dass er Flash gemocht und gern mit ihm gearbeitet hatte, aber fände, dass er sein Talent bei der Polizeiarbeit verschwendete. Als ich die Fotos sah, musste ich ihm zustimmen und ertappte mich bei dem Wunsch, dass Flash nie mit uns in die Berge gezogen wäre.
Während ich dies dachte, sagte seine Mutter: »Das waren natürlich nicht seine Lieblingsbilder. Er war am glücklichsten, wenn eines seiner Fotos dazu beigetragen hat, ein Verbrechen aufzuklären oder einen Kriminellen zu fassen.«
Ich bereute keinen dieser Besuche, aber emotional gesehen war jeder einzelne ein schwerer Gang, begleitet von Kummer und Leid, schrecklichen Erinnerungen und entgangenen Gelegenheiten. Jeder erneuerte meine Wut auf Parrish, machte mir aber auch bewusst, wie sehr ich ihn fürchtete. Als ich mich von den Burdens verabschiedet hatte und wieder hinaus zum Van ging, war ich ein bisschen wacklig auf den Beinen und hoffte, Jack würde nichts bemerken.
Ich traf ihn dabei an, wie er gerade den Kühlschrank des Vans putzte.
»Das geheime Leben der Millionäre«, sagte ich.
Er warf einen Blick auf mein Gesicht und legte mir den Arm um die Schultern.
»Tut mir Leid, dass ich dich hier draußen so lange warten lasse«, sagte ich, als ich wieder sprechen konnte. »Es wäre dir bestimmt lieber, du hättest dich nicht darauf eingelassen.«
»Schwere Aufgabe, was?«
Ich war nicht bereit, darüber zu reden, und so wechselte ich das Thema. »Was hat dich denn geritten, dass du anfängst, den Kühlschrank zu putzen?«
Er rümpfte die Nase. »Irgendwie hängt ein komischer Geruch im Van.«
Meine Augen weiteten sich. »Du riechst es auch?«
»Nicht besonders stark und auch nicht andauernd, aber ja – irgendetwas Seltsames. Es stört mich nicht
Weitere Kostenlose Bücher