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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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sie anruft und einen Termin ausmacht, um ihr restliches Gehalt abzuholen. Ich war nicht der Einzige – der Typ muss – vermutlich in der Hoffnung auf Gratis-Werbung – die halbe Presse in der Gegend angerufen haben. Sie ist vor dem Laden auf die ganzen Reporter gestoßen und hat gesagt, sie wünschte, wir würden ebenso intensiv nach Nick Parrish suchen, wie wir nach ihr gesucht hatten. Und das war’s dann.«
     
    Obwohl ich auf meinen jüngsten Negativrekord mit Fahrzeugen hinwies, lieh mir Ben seinen Jeep Cherokee und sagte, er werde in der Zwischenzeit Davids Pickup nehmen. Jack fuhr. Beinahe wären wir am großzügigen Haus der Sayres vorbeigefahren. Früher war es grau-weiß gewesen. Seit ich es das letzte Mal gesehen hatte, war es pfirsichfarben getüncht worden.
    Ich dachte zurück. Das war gewesen, kurz nachdem mir Gillian gesagt hatte, dass Parrish in dieser Straße gewohnt hatte. Ich hatte einen fruchtlosen Tag damit verbracht, die Nachbarn zu befragen – die einen hatten erklärt, er sei freundlich, aber reserviert gewesen, und die anderen behaupteten, ihn schon immer für einen merkwürdigen Vogel gehalten zu haben. Niemand aus dieser letzteren Gruppe konnte mir sagen, warum, was mich zu der Annahme veranlasste, dass sie von dem beeinflusst waren, was sie inzwischen über ihn gelesen hatten. Niemand im ganzen Viertel wusste Näheres über Nick Parrish oder vermochte zu sagen, wohin er als Nächstes gezogen oder was aus seiner Schwester geworden war.
    Im ersten Jahr nach Julias Verschwinden hatten die Sayres und ich uns relativ oft getroffen. Ich hatte Jason kennen gelernt und Giles’ Mutter, eine Frau, die eindeutig nicht dafür gerüstet war, es mit einem rebellischen Teenager wie Gillian aufzunehmen. Schockiert musste ich feststellen, dass ich, obwohl ich Gillian seitdem des Öfteren gesehen und auch ihren Vater ein paar Mal getroffen hatte, nie wieder mit ihrem Bruder oder ihrer Großmutter gesprochen hatte.
    Vor Monaten, als Parrish gerade angeboten hatte, die Polizei zu Julia Sayres Grab zu führen, hatte ich Giles in der Firma aufgesucht, die ihm gehörte. Sowie ich angekommen war, sagte er: »Er hat ihnen gesagt, wo sie Julia finden können, stimmt’s?«
    In der Abgeschiedenheit seines Büros berichtete ich ihm, was ich wusste. Er nahm es gefasst auf, fragte aber: »Besteht die Möglichkeit, dass er lügt? Die Möglichkeit, dass sie es nicht ist?«
    Ja, natürlich bestand diese Möglichkeit, sagte ich, da ich diese Art der Verdrängung schon öfter erlebt hatte. Er bat mich, ihn auf dem Laufenden zu halten.
    »Haben Sie es Gillian schon gesagt?«, wollte er wissen.
    Bestürzt erwiderte ich: »Nein, ich dachte, das überlasse ich ihrem Vater.«
    Er rutschte nervös herum.
    »Sie hat mir erzählt, dass Parrish früher in Ihrer Straße gewohnt hat«, sagte ich.
    »Ja?«, sagte er geistesabwesend. »Ich weiß nicht. Ich habe nie auf die Nachbarn geachtet. Die Polizei hat auch danach gefragt. Vermutlich konnten sie damit Druck auf ihn ausüben.«
    »Kannte Parrish Julia?«
    »Ich glaube nicht«, antwortete er stirnrunzelnd.
    »Sie hat Ihnen gegenüber nie erwähnt, dass jemand sie anstarrt?«
    »Vielleicht schon«, räumte er unentschlossen ein. »Hören Sie, Gilly hat zur Zeit nicht viel Kontakt zu uns. Ich glaube, sie würde diese Neuigkeit lieber von Ihnen hören.«
    Widerwillig erklärte ich mich bereit, es ihr mitzuteilen.
    Doch Gillian hatte mir in ihrer üblichen Art nichts von ihren Gefühlen offenbart. Sie fragte nur: »Haben Sie es meinem Dad schon gesagt?«
    Ich bejahte.
    »Er befasst sich nicht gern mit unangenehmen Dingen. War er derjenige, der Sie gebeten hat, es mir zu sagen?«
    »Ja.«
    Sie lächelte, alles andere als heiter, sondern in dieser verkniffenen Art, wie jemand lächelt, wenn er in einem Punkt Recht hat, in dem er nicht Recht haben will.
    »Sie gehen mit, oder?«, fragte sie. »Um herauszufinden, ob die Frau in dem Grab meine Mutter ist?«
    In genau einer Minute hatte sie den Widerstand gebrochen, den weder der Staatsanwalt noch meine Chefs hatten brechen können.
     
    Ich drückte die Klingel am Haus der Sayres. Zu meinem Erstaunen spielte sie jetzt »Dixie«. Ich hörte, wie jemand die Treppe herunterpolterte und rief: »Ich geh schon!«
    Jason riss die Tür auf, stutzte und setzte dann einen mürrischen Blick auf. Seine Haare waren jetzt ziemlich kurz geschnitten und in einer Mischung aus Schwarz und Blond gefärbt. Er trug ein langes, weites T-Shirt und extrem weite

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