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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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Polizei gesagt?«
    »Ich habe ihn nicht deutlich gesehen«, gestand er.
    »Was hast du denn gesehen?«
    »Nur einen Mann in einem Auto. Aber später hab ich es mir zusammengereimt – wissen Sie, als Gilly sich daran erinnert hat, dass er mal in unserer Straße gewohnt hat. Da war es zu spät«, sagte er traurig. »Außerdem – wer glaubt schon einem Kind? Es ist genau, wie Gilly gesagt hat: Kein Mensch nimmt ein Kind ernst.«
    Er fasste in die Tüte mit dem Obst und nahm sich eine Orange. Er musterte sie in seiner Hand und schleuderte sie dann heftig gegen einen Baumstamm, wo sie mit einem satten Klatschen auftraf und es dann schaffte, ein paar Sekunden am Baum kleben zu bleiben, bevor sie zur Erde fiel. Als ich mich umdrehte, um Jason erstaunt anzusehen, beugte er den Kopf, doch zuvor sah ich noch, dass sein Gesicht verzerrt war – vor Wut, aber nicht nur Wut allein.
    »Ich habe neulich auf ähnliche Weise mit etwas Hartem geworfen«, sagte ich. »Ich dachte, ich würde mich dann besser fühlen, aber eigentlich hat es nichts genützt.«
    »Was haben Sie denn geworfen?«, fragte er, an seine Fußknöchel gewandt.
    »Einen Computer-Monitor.«
    Er sah auf. Seine Augen waren feucht, aber weit aufgerissen. »Wahnsinn!«, sagte er bewundernd. »Einen Computer-Monitor?«
    »Ja. Ziemlich bescheuerte Aktion. Dabei hätte ich jemanden ernsthaft verletzen können. Hinterher hab ich mich schlechter gefühlt als zuvor.«
    »Und warum haben Sie ihn geworfen?«
    »Ich war wütend. Wütend, und außerdem habe ich mir wohl wegen einigem, was schief gelaufen ist, Vorwürfe gemacht.«
    »Dinge, die Ihre Schuld waren?«
    »Manches schon. Manches hätte ich wirklich ändern können, besser machen können. Aber vieles davon wäre wahrscheinlich ohnehin genauso gelaufen.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Na ja, zum Beispiel dachte ich, ich hätte dahinter kommen müssen, was Nick Parrish da oben in den Bergen im Schilde führte.«
    »Wie denn? Das wussten ja nicht einmal die Cops. Einige von ihnen sind umgekommen.«
    »Ja, und vielleicht war das meine Schuld, weil ich Nick Parrish schon im Verdacht hatte, etwas Böses auszuhecken. So ähnlich wie du vermutet hast, dass der Typ im Auto Übles im Sinn hatte.«
    »Aber wenn ich es vielleicht meinem Dad erzählt hätte und nicht Gilly …«
    »War dein Dad zu Hause?«
    »Nein.«
    »Also wäre der Mann im Auto womöglich weg gewesen, bis dein Dad nach Hause kam. Und sogar wenn dein Dad noch am selben Abend die Polizei verständigt hätte, hätte man ihn gefragt: ›Macht der Mann in dem Auto irgendwas?‹ Und wenn dein Dad geantwortet hätte, ›Nein‹, wäre es damit beendet gewesen. Vielleicht war es nicht einmal Parrish, der an dem Abend da draußen war.«
    »Kann sein«, sagte er ohne jede Überzeugung.
    »Es belastet dich trotzdem, stimmt’s?«
    »Ja.«
    »Ich habe immer gehofft, die Gedanken, die mich belasten, würden einfach verschwinden. Dem war nicht so. Deshalb versuche ich jetzt, ein bisschen mehr über sie zu sprechen. Es ist schwer.«
    »Echt schwer«, sagte er und blickte wieder auf seine Schuhe.
    »Mit wem redest du, wenn du bedrückt bist?«
    Er antwortete lange nicht, doch schließlich sagte er. »Mit meiner Großmutter manchmal.«
    »Vielleicht solltest du sie ein bisschen öfter anrufen. Frag doch mal deinen Dad, ob du sie eine Zeit lang besuchen darfst.«
    »Okay.«
    Wir sammelten unseren Müll auf – die zerquetschte Orange eingeschlossen – und verließen den Park. Bevor wir Jason nach Hause brachten, hielt Jack an einem Eisenwarenladen, um ein Stück Draht zu erstehen. Danach fuhr er uns zu einem italienischen Restaurant, wo er offenbar gut bekannt war. Obwohl der Gastraum zu dieser spätnachmittäglichen Stunde leer war, wurden wir hinten in der Küche willkommen geheißen, wo Jack den schwer beschäftigten Koch überredete, ihm das restliche Zubehör für ein Blechbüchsentelefon zu geben. Der Koch wusch die Büchsen sogar aus und überwachte Jacks Anstrengungen, die Teile zusammenzubauen.
    Als alles fertig war, drängte der Koch Jason, ein Ende in den Gastraum mitzunehmen, während er das andere Ende in der Küche behielt. Was sie da hin und her flüsterten, blieb mir verborgen, aber es löste auf beiden Seiten enorme Erheiterung aus.
    Nur mit Mühe und dem Versprechen, bald wiederzukommen, durften wir gehen, ohne eine Mahlzeit einzunehmen. Jason schwieg auf dem Nachhauseweg, und als wir vor dem Haus anhielten, sagte er: »Verraten Sie Gilly nicht, was ich über

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