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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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Sache, dem Kerl eine regelrechte Herausforderung an den Kopf zu werfen, eine ganz andere.«
    »Ich habe den Artikel nicht eingereicht.«
    Er rutschte ein Stück zurück. »Was?«
    »Lydia hat dir eine Kopie davon gegeben, stimmt’s?«
    Er gab es zu.
    »Tja, ich habe den Artikel nicht eingereicht. Ich habe ihn auf einer Diskette gespeichert. Ich habe noch keine endgültige Entscheidung getroffen, aber ich glaube, ich neige dazu, ihn nicht einzureichen.« Ich hielt eine Hand in die Höhe, als er zu sprechen begann. »Nicht – bitte sag nicht, dass es das Klügste ist, denn wahrscheinlich ist es auch das Feigste.«
    Schlauerweise sagte er nichts mehr zu diesem Thema.
     
    Gillian wohnte über einer Garage, in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung, die während der Wohnungsnot Ende der vierziger Jahre gebaut worden war. Die Garage stand am Ende einer langen Einfahrt, getrennt von dem großen Craftsman-Haus, das den vorderen Teil des Grundstücks einnahm. Das Haus war in zwei Wohnungen aufgeteilt worden.
    Schon am Fuß der Treppe konnten wir die Stereoanlage hören: die Boomtown Rats sangen »I Don’t Like Mondays«. Ein Oldie. Wir stiegen die Treppe hinauf und klopften an die Tür. Die Musik verstummte. Gillian begrüßte uns in Jeans und einem leuchtend gelben Top. Ihre Haare waren zurzeit extrem kurz und schwarz, die Fingernägel lila, aber auch wesentlich kürzer als bei unserer letzten Begegnung. Frank hatte Gillian einmal kurz getroffen, als sie ihn im Fall einer unbekannten Toten, den er bearbeitete, um Auskunft gebeten hatte. Sie erinnerte sich durchaus an ihn und auch an diesen speziellen Fall, obwohl sie sich im Lauf der vergangenen vier Jahre nach mehreren Dutzend solcher Fälle erkundigt haben musste.
    Während sie kurz über die damaligen Ermittlungen sprachen, sah ich mich in der Wohnung um. Sie war merkwürdig leer und nüchtern für jemanden, der sich so bunt kleidete. Die Wände waren weiß und nackt, Stühle und Sofa schlicht, und außer ihren Stereoboxen und einer Topfpalme befand sich nichts weiter im Raum. Die Stereoanlage selbst musste im Schlafzimmer stehen. Es gab nichts in diesem Zimmer, was einen Gast von der Gastgeberin abgelenkt hätte.
    Höflich bot sie uns einen Platz an, höflich offerierte sie Getränke und höflich dankte sie mir noch einmal dafür, dass ich so rasch, nachdem ich aus den Bergen zurückgekehrt war, mit ihr gesprochen hatte. Sie sagte, sie sei froh, dass ich mich von den Knochen im Van nicht allzu sehr hatte verängstigen lassen, und fragte, ob ich schon wieder arbeitete.
    Hinter diesen guten Manieren lauerte ein nur mangelhaft kaschiertes Desinteresse an uns, das mich überlegen ließ, wie sie es schaffte, uns nicht ins Gesicht zu gähnen.
    Ich fragte sie, wie es ihr ginge. Ihr ging es gut.
    Ich äußerte mein Erstaunen über die Wiederverheiratung ihres Vaters. Sie sagte, sie kenne Susan eigentlich kaum, aber ihr Vater könne in seinem Leben tun und lassen, was er wolle.
    »Jason scheint es nicht besonders zu behagen.«
    »Sie haben mit Jason gesprochen?«, fragte sie und zeigte damit das erste Anzeichen von echter Aufmerksamkeit für irgendetwas, was ich bisher gesagt hatte.
    »Ja«, antwortete ich. »Anfang der Woche.«
    Sie breitete die Hände mit nach oben gereckten Handflächen vor sich aus und studierte ihre Nägel. Dann sah sie wieder auf und sagte: »Ich habe nicht mehr viel mit meinem Vater oder meinem Bruder zu tun. So gefällt es mir. Sie haben ihre Probleme und ich meine.«
    Ich entschuldigte mich, um ihre Toilette aufzusuchen, die ebenso kahl und schmucklos war wie der Rest der Wohnung. Als ich wiederkam, stellte ich überrascht fest, dass sie lachte. Mir wurde klar, dass es das erste Mal war, dass ich sie je lachen gehört hatte. Es war ein ungehemmtes, kindliches Kichern. Sie hielt ein gefaltetes Blatt Papier in der Hand, das sie lächelnd Frank zurückgab.
    Frank sah mich mit einem Blick an, der von schlechtem Gewissen geradezu durchdrungen war. Er nahm das Blatt von ihr entgegen und reichte es mir.
    »Ich hoffe, es macht dir nichts aus«, sagte er. »Ich habe sie deinen Artikel über Parrish lesen lassen.«
    »Überhaupt nicht«, erwiderte ich, doch Gillians Lächeln war bereits erloschen.
     
    Kurz danach gingen wir. Im Auto sagte Frank: »Entschuldige, ich hätte dich zuerst fragen sollen.«
    »Machst du Witze? Das war sagenhaft! Ich habe dieses Mädchen noch nie lachen hören. Es freut mich wirklich, dass du ihr gezeigt hast, was ich geschrieben habe.

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