Grabesstille
einem Waschtag erwarten.
Hier beim Express hat die Vorstellung, wie er seinen großen Plan ausheckt und dabei drei Monate lang mein schmutziges Höschen mit sich herumträgt, Anlass zu Erheiterung aller Art gegeben.
Nicky, wer hätte gedacht, dass du ein Höschenschnüffler bist?
Ja, ich weiß, du würdest lieber als die Inkarnation des Bösen in die Geschichte eingehen, und du hast mit Sicherheit dein Bestes getan, um dir diesen Spitznamen zu verdienen. Doch die Welt der Medien ist im steten Wandel begriffen, Nicky, und ich fürchte, dass hier in der Redaktion die Sache mit der Inkarnation des Bösen bereits vergessen ist – du bist dazu verdammt, als Unterhosen-Unhold bekannt zu werden.
Lydia, die über meine Schulter mitlas, schüttelte den Kopf und ging davon.
Aber mir machte es viel zu viel Spaß, um mich darum zu scheren. Es war herrlich, mir auszumalen, wie Parrish dreinschauen würde, wenn er das las. Da versuchte er nun krampfhaft, mich zu ängstigen, und wenn alles in meinem Sinne lief, würde ich ihn zum Gespött der Leute machen.
Ich war drauf und dran, den Text an John zu schicken, als ich aus irgendeinem Grund plötzlich an Parzival denken musste. Parzival, dessen gute Absichten nicht verhindern konnten, dass infolge seiner Handlungen Schlimmes geschah.
Mal angenommen, Parrish beschloss, zu beweisen, dass man ihn ernst nehmen musste? Was, wenn der Mann, statt durch meine nadelspitzen Worte am Boden zerstört und wie gelähmt zu sein, eine solche Wut entwickelte, dass er ein weiteres Dutzend Frauen umbrachte, nur damit wir wieder lernten, ihn zu fürchten? Wäre ich dann imstande, mit mir selbst weiterzuleben? Glaubte ich auch nur eine Minute lang, dass er in Tränen ausbrechen, sich freiwillig stellen und sagen würde: »Ich gestehe alles, aber hindern Sie Irene Kelly daran, gemein zu mir zu sein«?
Doch sollte ich mich andererseits selbst zensieren, nur weil ich im Grunde meines Herzens Angst vor Nick Parrish hatte?
Ich druckte ein Exemplar des Textes aus und gab es Lydia, allerdings mit der Bemerkung, dass ich noch nicht bereit war, ihn einzureichen, sondern noch ein Weilchen darüber nachdenken wolle. Ich speicherte ihn auf einer Diskette und löschte ihn dann von der Festplatte. Wenn ich es mir anders überlegte, konnte ich ja die Diskette abgeben.
Ich rief John zu Hause an, um ihm zu erzählen, was mit dem Päckchen passiert war. »Ich fürchte, Sie werden die Spurensicherung ins Haus bekommen«, sagte ich.
»O mein Gott, Kelly, noch nicht mal einen ganzen Tag wieder da, und schon laufen Ihretwegen die Cops in der Redaktion herum.«
Im Endeffekt hielt sich die Polizei gar nicht lang bei der Zeitung auf. Nachdem sie das Päckchen und dessen Inhalt an sich genommen, mir ein paar Fragen (»Wann befand sich das Kleidungsstück zuletzt in Ihrem Besitz?«) gestellt hatten und zu dem Schluss gekommen waren, dass das Päckchen mit der Post zugestellt und nicht persönlich überbracht worden war, verschwanden sie wieder. Sie erwähnten sogar, dass ich vermutlich bald den Van zurückbekommen würde.
Ich ging mit Frank zum Mittagessen. Er wirkte stiller als sonst.
»Was hast du denn?«, fragte ich.
»Lydia hat mir von dem Kommentar erzählt, den du geschrieben hast.«
Ich versuchte, aus seiner Miene zu lesen, und konnte es nicht. »Das tut mir Leid. Ich wollte es dir ohnehin erzählen, aber das wirst du mir jetzt wohl nicht mehr glauben.«
»Ich glaube dir.«
»Und worin besteht das Problem?«
»Das Problem besteht darin, dass du einen Serienmörder wütend machst. Oder hattest du das in dieser ›stets im Wandel begriffenen Welt der Medien‹ allen Ernstes vergessen?«
»Was meinst du wohl, wie die Antwort auf diese Frage lautet?«
»Was zum Teufel hast du dir dann dabei gedacht?«
»Ich habe es satt, die ganze Zeit nach seinen Regeln zu spielen, Frank.«
»Es gibt Experten für Gerichtspsychiatrie, die an solchen Fällen arbeiten, Irene. Fachleute, deren Beruf es ist, solche Typen zu studieren, gehören der Spezialeinheit an. Hast du schon mal daran gedacht, dass es eine gute Idee wäre, einen von ihnen zu Rate zu ziehen, bevor du dich gegenüber Parrish so aufspielst?«
»Hör mal, bevor wir uns darüber streiten –«
»Ich nehme dir nicht übel, dass du wütend wirst. Er versucht, dich zu kontrollieren und zu manipulieren und dir Angst einzujagen. Er will das Sagen haben. Finde ich, dass du wimmernd in der Ecke sitzen solltest? Nein. Aber dich zu behaupten ist eine
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